Man ist ein Häufchen Elend

Am 24. Juni will Extremsportler Wolfgang Kulow 350 Stunden laufend, radelnd und schwimmend zubringen. Vom Nordkap bis nach Heiligenhafen will er dem permanenten Schmerz lächelnd begegnen, um sich nicht wie ein zugeschnürter Schuhkarton zu fühlen

von Christian Görtzen

Die Angst vor dem Zahnarzt ist in all den Jahren geblieben. Für den Extremsportler Wolfgang Kulow aus Neustadt in Schleswig-Holstein, der in Zehnfach-Triathlon-Rennen seinen Körper geschunden und sich die Füße bei Läufen durch die Sahara oder die Taklamakan-Wüste blutig gescheuert hat, stellt der Bohrer ein Sinnbild des Schmerzes dar.

„Termine beim Zahnarzt empfinde ich als sehr unangenehm. Ich habe dort keine Kontrolle über meinen Körper, das mag ich nicht“, sagt der 56-Jährige, der auch schon mit dem Fahrrad auf dem Meeresgrund der Ostsee von Sierksdorf nach Timmendorfer Strand gefahren ist. „Eigentlich bin ich sehr feinfühlig.“ Eigentlich. Kulow kann auch ganz anders.

Im Juni nimmt der zivile Angestellte der Bundeswehr an einem Triathlon am Nordkap teil. 40 km Schwimmen durch das Eismeer, 2.100 km Radfahren und 520 km Laufen stehen dort auf dem Programm, etwa 350 Stunden wird er dafür brauchen. Er wird sich quälen, wird mit der Müdigkeit kämpfen, wird sich von seinem Betreuerteam nicht gut beraten fühlen und wird sich immer dann wieder aufs Neue antreiben, wenn er am liebsten aufgeben und nach Hause fahren würde. Die Aussicht auf diesen permanenten Schmerzzustand lässt ihn etwas verlegen lächeln.

Kulow, in Großenbrode an der Ostsee geboren, liebte schon als Kind das Abenteuer und die sportliche Herausforderung. Im Alter von sieben Jahren begann er mit dem Tauchsport, mit 13 Jahren bildeten ihn Marinetaucher aus. Von diesem Tag an bestimmten Laufen, Tauchen und Schwimmen sein Leben. Nach seiner Ausbildung zum Fliesenleger wurde er zur Marine eingezogen – und war in seinem Element. Schließlich standen dort doch regelmäßig „seine Disziplinen“ auf dem Programm.

Stillstand war ihm schon immer ein Gräuel. Kulow ist rastlos. Auch mit 56 Jahren noch. Hat er ein Ziel erreicht, muss ein neues her. Je ausgefallener, desto reizvoller. Nur ein Beispiel unter vielen: Im Sommer 2003 ist Kulow im ostholsteinischen Lensahn einen Marathon gelaufen – im Schwimmbad, unter Wasser, im Tauchanzug. Genau 24 Stunden und 24 Minuten hat er dafür gebraucht. Auf solche Ideen muss man erst einmal kommen. Die Kunst, den schwächer werdenden Körper mit dem noch wachen Geist auch im Augenblick des größten Schmerzes zu einer Einheit werden zu lassen, übt einen magischen Reiz auf ihn aus. „Es fasziniert mich, in der Talsohle zu leben, dort Leistung zu bringen. Man ist ein Häufchen Elend, aber von der Psyche bist du in diesen Momenten so stark, als könntest du die Welt auseinander reißen“, sagt Kulow.

Auf Einträge ins Guinness-Buch der Rekorde sei er nicht erpicht. „Mir geht es darum, neue Wege zu beschreiten. Ich möchte die Grenzen meines Körpers kennen lernen, diese ein Stück weit verschieben. Das scheinbar Unmögliche möglich zu machen, ist für mich ein sportliches Abenteuer“, sagt Kulow. Die Qual für den Körper gleitet darüber jedes Mal sanft in den Hintergrund. „Manchmal fühlst du dich wie ein Schuhkarton, der von allen Seiten zusammengeschnürt wird, aber dann überläufst du den Schmerz, verlagerst ihn, und dann geht es weiter“, erzählt Kulow. „Es ist wie bei einem alten Auto, das im Grunde schon kaputt ist. Das fährst du wieder warm.“

Aber warum das alles? Ist es der Wunsch nach Anerkennung, eine Sehnsucht nach Schmerzen - ganz nach dem Prinzip: Je größer die Qual, desto leuchtender das Dasein als moderner Held? „Der Begriff Sucht hört sich nicht gut an“, sagt Kulow. „Es ist der Reiz, etwas Einmaliges zu schaffen. Je abstrakter und verrückter, desto besser. Der Kick muss gesteigert werden.“

So wie beim Race across America, einem über 5.000 km langen Radrennen durch die USA. Kulow nahm im Sommer 2002 daran teil und machte Erfahrungen, die er nicht für möglich gehalten hätte. Knieschmerzen, gepaart mit extremer Müdigkeit, übten einen dumpfen Schmerz auf ihn aus. „Ich wusste, dass ich abdrifte, aber da war es schon zu spät. Du sackst ab und tauchst ins Irreale ein.“ Er bekam Halluzinationen, wähnte sich im vertrauten Ostholstein. Schließlich schlief er während der Fahrt auf seinem Rennrad ein.

Aber auch die bewundernden Blicke der Zuschauer sind ihm noch bestens in Erinnerung. „Die Leute schauten mich an, als käme ich von einem anderen Stern“, sagt er. „Das findet man eigentlich gut, weil die das verrückt finden.“

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