: Bedrohliche Geborgenheit
Von der grotesken Boulevardkomödie zum Splatterstück. „Die Frau von früher“ von Roland Schimmelpfennig wirkt in der Inszenierung Stephan Müllers im Thalia vor allem in den leisen Szenen akzentuiert
Glauben Sie an die ewige Liebe? Dann sind Sie auf sympathische Weise verrückt. Glauben Sie auch daran, dass Liebesschwüre nach Jahrzehnten totaler Funkstille gelten sollten? Dann sind Sie auf gefährliche Weise verrückt.
Letzteres trifft auf Romy Vogtländer (Christiane von Poelnitz) zu. Sie steht eines Tages kerzengerade vor der Wohnungstür von Frank (Markus Hering), mit dem sie vor 24 Jahren die erste Jugendliebe verband. Und erwartet, dass dieser augenblicklich Frau und Sohn verlässt. Doch Frank erkennt sie nicht einmal, kann sich an diesen Sommer, als er 20 war, kein Stück erinnern.
Verlust und Erinnerung in der Liebe – das sind die Grundthemen, die Roland Schimmelpfennig in Stücken wie „Vor langer Zeit im Mai“, „Die arabische Nacht“ und „Vorher/Nachher“ immer wieder durchspielt.
In „Die Frau von früher“, das im vergangenen Jahr im Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde und jetzt als Gastspiel im Rahmen der Autorentheatertage am Thalia zu sehen war, geht Schimmelpfennig ins Extrem. Er nimmt leichtfertig ausgesprochene Liebesschwüre beim Wort. Was als groteske Boulevardkomödie beginnt, entwickelt sich zum Thriller und endet als Splatterstück – mit Flammenwerfer, Verbrennungstod und Leiche im Koffer.
Zusätzlich für Spannung sorgen die Zeitsprünge bei jedem Szenenbeginn. „Zehn Minuten später“ oder „Zwanzig Minuten früher“ werden die kurzen Szenen betitelt, mal geht es vor-, mal rückwärts. Was allerdings das Tempo verschleppt, sind die Überlappungen zu Beginn jeder Szene. Dreimal schlägt Claudia (Regina Fritsch) ihrem Mann die flache Hand ins Gesicht und knallt vor der hartnäckigen Konkurrentin die Tür zu. So hat man es sich mit der Zeit mehr oder weniger behaglich in einer etwas ausgewalzten Slapstickkomödie eingerichtet, da kippt das Stück ins Bedrohliche um.
Die verrückte Romy muss gar nicht mehr viel tun, um die Ehe ihres Ex auseinander zu bringen. 19 Jahre sind eben auch kein Garant für die ewige Liebe. Es dauert nicht lange, bis Frank den Tennisschläger nach seiner Frau wirft und ihr die vernichtenden Sätze vor die Füße knallt: „Du bist alt geworden. Du siehst alt aus. Alt und verbraucht. Du bist alt, verbraucht und hässlich.“
Es dauert auch nicht lange, bis Romy Franks Sohn Andi (Philipp Hauß) verführt hat. Gerade hat der 19-Jährige noch seiner Freundin Tina (Elisa Seydel) die ewige Liebe geschworen, da erwidert er ohne Gewissensbisse den Kuss von Romy.
In einer quälend langen Szene entpuppt sich ein Liebes- als Todestanz. Romy schäkert mit Andi im Engtanz herum und zieht spielerisch eine Plastiktüte über ihre beiden aneinander geschmiegten Köpfe. Dann verschwinden sie im Schlafzimmer. In der nächsten Szene ist die Tüte nur noch über den Kopf des Jungen gestülpt, er wehrt sich und strampelt. Vergeblich.
Es sind diese leisen Szenen, in denen Regisseur Stephan Müller zur Hochform aufläuft. Seine Inszenierung setzt ansonsten wenig eigene Akzente und gibt sich texttreu und puristisch. Müller verlässt sich auf seine Schauspieler, die mit knappen Gesten Charaktere entwerfen. Christiane von Poelnitz steht aufrecht wie eine Statue in ihrer unerbittlichen Liebesmission. Und Markus Hering windet sich wie ein Fragezeichen. Ein Fähnchen im Wind, das blitzschnell von seiner Frau zur Exfreundin überschwenkt.
Realistisch ist das alles nicht gerade. Eher eine bittere Farce. Der Realismus holt einen dennoch ein: im Zuschauerraum. Dort weist eine junge eine alte Frau barsch zurecht, als diese laut die Zeitangaben am Szenenbeginn verkündet: „Schnauze, wir können selber lesen.“ Die ewige Liebe, ein Witz. Ein ewiger Kampf ist das Leben. Karin Liebe