piwik no script img

herzensortWenn die Straße zur Bühne wird

Es heißt ja immer, in Erfurt sei nicht viel los. Und wenn was los ist, dann ist es was mit Nazis. Nicht aber, wenn man aus dem dritten Stock aufs Geschehen blickt, von den Fensterbänken in der Wohnung am Boyneburgufer, die wir liebevoll die Burg nennen. An zahlreichen Abenden, vor allem im Sommer, wird hier die Hauptstraße unter uns zur Bühne. Wir statten uns aus mit Sofakissen, drehen die Musik auf und lehnen uns, auf die Ellenbogen gestützt, auf die Fensterbankkante. Man grüßt die Fens­t­er­ge­nos­s*in­nen auf der anderen Straßenseite. Man kennt sich.

Der Lärm der Straßenbahnen, der Autos und des Flutgrabens schallt nach oben, wir hingegen sind für die Vorbeilaufenden unter uns lautlose Gestalten. Kaum jemand schaut hoch. Und wir sehen so einiges. An ruhigen Abenden lassen wir einen Korb herunter, der Spätiverkäufer gegenüber versorgt uns mit Getränken. An turbulenten Tagen packen wir das Megafon aus und rufen den Vorbeifahrenden nützliche Sprüche zu, so was wie „Licht an, bitte“, „Dynamo!“ Mit dem Schließen des Fensters verbannen wir den Lärm und auch der Abend endet. Ann-Kathrin Leclère

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen