Die Zukunft Beiruts

GÖTTLICHE PLANUNG Im Süden der libanesischen Hauptstadt plant die schiitische Hisbollah den Wiederaufbau der im Krieg mit Israel zerstörten Quartiere. Debatten über Stadtplanung führt sie aber nicht

Der Wiederaufbau wird auch mit Spenden finanziert. Deren Herkunft bleibt im Dunklen

VON MONA NAGGAR

Taxis, Kleinbusse, Motorräder und Gemüsehändler mit ihren Karren, alle zwängen sich durch die enge Hauptstraße von Haret Hreik. Hier, im Süden Beiruts, war die Hisbollah vor dem Libanonkrieg im Jahr 2006 besonders stark. Das Stadtviertel wurde stark zerstört.

Fußgänger versuchen sich durch parkende Autos hindurchzuschlängeln. Bekleidungsgeschäfte, Imbissbuden, Internetcafés und kleine Supermärkte säumen die beiden Seiten der belebten Straße. An einigen Strommasten sind Bilder junger Männer in Militäruniform befestigt, die im Kampf gegen Israel gefallen sind. An dem Gebäude neben der Kommunalverwaltung hängt ein riesiges Plakat von Hassan Nasrallah, dem Generalsekretär der schiitischen Hisbollah.

Hier in der Dahia, dem südlichen Stadtteil von Beirut, hat die „Partei Gottes“ das Sagen. Nicht Verkehrspolizisten, die dem libanesischen Innenministerium unterstehen, versuchen etwas Ordnung in das Verkehrschaos zu bringen, sondern Männer in dunkelbeiges Uniform mit einer Armbinde, auf der „Indibat“ (Ordnung) steht. Sie sind von der „Partei Gottes“ eingesetzt.

Im Straßenbild gibt es auffällig viele Baustellen. Acht- bis zehnstöckige Hochhäuser im Rohbau ragen in die Höhe. Die Dahia war im Sommer 2006 stark von den Bombardements der israelischen Luftwaffe in ihrem Krieg gegen die Hisbollah betroffen. Nun, drei Jahre später, laufen die Bauarbeiten auf Hochtouren. Vor den Baustellen sind Schilder aufgestellt mit dem Namen der Verantwortlichen für die Bauarbeiten: „Waad“, zu Deutsch: Versprechen, darunter das Motto des Wiederaufbaus: „Wir werden es schöner aufbauen, als es war“.

Insgesamt 265 Gebäude sind in Haret Hreik teilweise oder ganz zerstört worden. Etwa 20.000 Menschen verloren ihre Wohnungen. Einer von ihnen ist Ahmad Qasim. Er arbeitet in einem Büro unweit der Hassanain-Moschee: „Das Gebäude, in dem ich eine Wohnung hatte“, sagt er, „wurde vollständig zerstört.“ Alle Eigentümer hätten sich dafür ausgesprochen, Waad mit dem Wiederaufbau zu beauftragen: „Sie führen die Bauarbeiten durch und die nötigen Formalitäten. Wir vertrauen der Hisbollah und Waad.“

Die Baufirma ist in einem mehrstöckigen Bürogebäude an der Hauptstraße untergebracht. Der Ingenieur Hassen Jeschi, Leiter von Waad, sitzt im 6. Stockwerk mit Blick auf die quirlige Straße. Jeschi zeigt auf die Karte von Haret Hreik und erklärt, wie man sich das Viertel in naher Zukunft vorstellen kann: „Wir planen, einige Straßen zu erweitern, die Schura-Straße etwa. Sie wird zur Hauptverbindung zwischen den beiden Nord-Süd-Achsen ausgebaut. Wir sind kein Dorf!“ Stolz fügt Jeschi hinzu, dass die meisten Neubauten erdbebensicher seien, unterirdische Garagen und doppelte Außenwände haben. An der Bebauungsdichte in den betroffenen Gebieten wird sich jedoch nichts ändern. Die Höhe der Gebäude wird Waad beibehalten, sodass die Bewohner wohl weiter mit Feuchtigkeit, wenig Licht und schlechter Belüftung rechnen dürfen. Von einer offenen stadtplanerischen Debatte hält Hassan Jeschi nicht viel: „Die Menschen möchten so schnell wie möglich in ihre Wohnungen zurück und warten nicht auf irgendwelche Diskussionen.“

Rückkehr hat Priorität

Für die Hisbollah haben Wiederaufbau und rasche Rückkehr der Bewohner oberste Priorität. Die Glaubwürdigkeit der Partei steht auf dem Spiel. Die „wiederauferstande“ Dahia wird auch als Botschaft an den Feind verstanden, als Zeichen der Widerstandsfähigkeit gegenüber Israel.

Stadtplaner von der Amerikanischen Universität in Beirut (AUB) möchten hingegen mit ihren Vorschlägen zum Wiederaufbau eine Diskussion anregen. Nicht breitere Straßen, sondern verkehrsberuhigte Areale, Sackgassen und mehr Grünflächen schlagen sie in ihren Konzepten vor. Nach ihrer Vorstellung soll die Schurastraße beispielhaft für die dicht bevölkerte Dahia zu einem verkehrsberuhigten und begrünten Bereich umgestaltet werden. Der letzte Abschnitt soll zur Einbahnstraße werden und schließlich in eine Sackgasse münden. Das jetzige Nadelöhr zur Hauptstraße wird ganz für die Fußgänger reserviert sein und mit Palmen bepflanzt werden. Durch Verhandlungen mit Eigentümern und Zahlungen von Kompensationen könnten freie Flächen für Spielplätze oder Gärten gewonnen werden.

Zuzug der Flüchtlinge

Die Architektin Mona Fawas hat bei diesen Plänen mitgearbeitet. Sie hat auch Hassan Jeschi zu einer öffentlichen Diskussion in die Universität eingeladen. Fawas möchte die Wohnsituation und Lebensqualität der Bewohner der Dahia verbessern sowie ein stärkeres Interesse für diese Stadtteile in der libanesischen Gesellschaft wecken. „Für mich ist der Wiederaufbau nicht nur das Errichten der Gebäude“, sagt sie. „Es geht auch um die Beziehung dieser Viertel zu der übrigen Stadt.“

In den Achtziger- und Neunzigerjahren formte sich allmählich die heutige Identität der Vororte: schiitisch, islamisch und kämpferisch. Die zentral gesteuerten Baumaßnahmen durch die Hisbollah sieht sie „als letztendliche Besiegelung dieser Identität“. „Wir müssen uns einmischen und dürfen diese Stadtteile nicht aufgeben, sie sind Teil unserer Stadt“, so die Architektin.

Die Dahia erlebte in den letzten 30 Jahren einen tiefgreifenden strukturellen und demografischen Wandel. In den 70er-Jahren noch von ein- bis zweistöckigen Häusern mit Garten und von einer konfessionell gemischten Bevölkerung geprägt, begann die Veränderung mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges 1975 und mit den Flüchtlingen, die in den folgenden Jahren aus dem Osten und dem Süden des Landes nach Beirut strömten und sich dort niederließen.

Nach und nach verließen viele Alteingesessene den Stadtteil. Dieser wurde langsam zu einem mehrheitlich von Schiiten bewohnten, islamisch konservativen und von der Hisbollah kontrollierten Ort. Die südlichen Vororte haben in den letzten Jahren ihr Gesicht etwas verändert. Cafés und schicke Bekleidungsgeschäfte haben eröffnet. Westliches Fastfood in Form der KFC-Kette und Donut-Läden haben Einzug gehalten. Einkaufszentren mit Beinamen „Plaza“ oder „Laguna“ entstanden. Aber für viele Bewohner Beiruts verläuft eine unsichtbare Grenze rund um die Dahia, die sie oftmals nicht zu überschreiten wagen.

Mona Fawas stellt einen interessanten Vergleich zwischen dem Solidere-Projekt und den Plänen von Waad an. Die Solidere-Gesellschaft hat in den Neunzigerjahren den Wiederaufbau des Beiruter Stadtzentrums unter Federführung des damaligen Ministerpräsidenten und Milliardärs Rafik al-Hariri übernommen. Ihm schwebte ein „Hongkong am Mittelmeer“ vor.

Für viele Bewohner Beiruts verläuft um die südlichen Stadtteile eine unsichtbare Grenze

Die beiden Projekte, so Mona Fawas’ Einschätzung, hätten allerdings nicht die gleichen Ziele: Solidere soll ihren Aktionären Gewinn bescheren, wohingegen Waad politisches Kapital schlagen möchte. Beide seien jedoch von einer Vision getragen, die autoritär diktiert würde: „Es gibt keinen Platz für plurale Stimmen“, sagt Mona Fawas, „das Ergebnis sind Enklaven.“

Das politische Klima im Zedernstaat ist denkbar ungünstig für eine konstruktive Debatte über Stadtplanung in den Vororten. Die Diskussion, die bis jetzt in der Amerikanischen Universität, in der Ingenieurskammer und in begrenztem Umfang in den Medien stattfand, konnte keinen wirklichen Diskurs anstoßen.

Oftmals sind die Positionen von einer Hisbollah-freundlichen oder Hisbollah-feindlichen Haltung geprägt. Eine wirkliche Auseinandersetzungen um Alternativkonzepte wie die von Mona Fawas und anderen Architekten von der AUB findet kaum statt. Staatliche Stellen sind fast verstummt. Der „Rat für den Wiederaufbau der Dahia“, den der damalige Ministerpräsident Siniora unmittelbar nach Kriegsende eingesetzt hat, hat sich nach den Auseinandersetzungen mit der Hisbollah aus der Planung zurückgezogen. Er sagte den Geschädigten lediglich eine Entschädigung zu. Damit verpasste der Staat eine große Chance, stadtplanerisch in einem heiklen Gebiet mitzuwirken und sich verantwortlich für einen Teil seiner Bürger zu zeigen, auch wenn diese einem anderen politischen Lager angehören.

Unbekannte Spender

Die Mehrheit der Besitzer zerstörter Häuser hat es inzwischen Ahmad Qasim gleichgemacht. Sie hat Waad eine Vollmacht für den Wiederaufbau gegeben. Die Entschädigung, die bei Weitem nicht die Kosten decken, leiten sie an die Baufirma weiter. Die restlichen Kosten werden von Spenden gedeckt und von der Hisbollah eigenen Organisation Dschihad al-Bina. Woher diese ihre Gelder beziehen, wollte Hassan Jeschi nicht sagen. In den westlichen Medien wird häufig der Iran genannt.

Die Bewohner, oft nicht hinreichend informiert über die zur Debatte stehenden Vorschläge, befürchten, zwischen den politischen Kontrahenten zerrieben zu werden und leer auszugehen. Ahmad Qasim aber hat keinen Zweifel daran, dass die „Partei Gottes“ ihm seine Wohnung wiederaufbaut. Auch wenn er nicht glaubt, dass „unser Viertel schöner wird als vorher, wie es auf den Plakaten steht“.