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Archiv-Artikel

Ein Tuch für jeden Totgeschlagenen

In Dresden erinnert eine Installation an die Opfer rechtsextremer Gewalt. 100 Namen prangen auf 100 Tüchern. Die Initiatoren wollen ein Zeichen setzen gegen den Rechtsruck in der Stadt. Auch NPD-Abgeordnete und Neonazis kamen zur Eröffnung

Dem Rechtsruckder Gesellschaftnicht mehrtatenlos zusehen

AUS DRESDENMICHAEL BARTSCH

In der Schlichtheit des Namenszuges der Opfer erinnert die Installation am Dresdner Elbufer an Gedenkstätten wie das israelische Jad Vaschem. 100 Namen von Menschen, die durch rechtsextreme Gewalttaten ums Leben kamen, sind auf jedem der 100 aufgespannten Tücher vermerkt.

Deutsche und ausländische sind darunter. Auf den drei Quadratmeter großen weißen Tüchern ist wiederum jeweils ein Name ausgespart, sodass sich der einzelne aus der Masse heraushebt.

Gegenüber vom Landtag fallen die Tücher auch den Touristen auf. Verstanden werden sie allerdings oft erst durch ein Faltblatt, das Mitglieder des Freundeskreises „Dresden gegen rechtsextremes Denken“ verteilen. „Wir thematisieren die Folgen des hohen Aggressionspotenzials und die Gewaltakte, die von dieser rechtsextremen politischen Bewegung ausgehen“, heißt es darin.

Dieser Freundeskreis ist insofern ein Novum, als er sich aus der Mitte der Gesellschaft heraus ohne institutionelle Bindung gebildet hat. Christian Demuth, Doktorand der Politikwissenschaften, ist einer der Initiatoren, die dem Rechtsruck in der Gesellschaft „nicht mehr tatenlos zusehen wollen“. Seit Anfang Juni hat der Freundeskreis für knapp drei Wochen eine Bürgeraktion gestartet, deren wichtigstes Zeichen die mahnende Installation am Elbufer ist.

„Die Mehrheit darf keine schweigende sein“, rief gestern zur Eröffnung des Kunstprojektes Dietrich Kunze, der Intendant des Theaters Junge Generation Dresden. Doch zu der Veranstaltung hatten sich nur etwa 60 Dresdner eingefunden. Etwas zahlreicher fiel der Besuch der ersten von drei Informationsveranstaltungen aus, in der über das rechtsextreme Gewaltpotenzial informiert und diskutiert werden sollte.

Unter die Besucher hatten sich allerdings etwa ein Dutzend Nationalisten jeden Alters gemischt, so der NPD-Landtagsabgeordnete Klaus-Jürgen Menzel und bekannte vorbestrafte Personen. Vor den später geschlossenen Türen des Japanischen Palais versammelten sich nach Polizeiangaben bis zu 80 Neonazis und etwa 20 Antifa-Anhänger. Sie wurden von der Polizei getrennt, konnten die Veranstaltung nicht nennenswert stören und zogen nach deren Ende in getrennte Richtungen ab.Die Diskussion stand allerdings kurz vor dem Abbruch, als nach Parolen wie „Rechts marschiert, Links randaliert“ Tumulte ausbrachen. Der Extremismusforscher Rainer Erb von der Viadrina-Universität Frankfurt (Oder) hatte zuvor eine Charakteristik der Situationen gegeben, in denen die brutalen Übergriffe möglich werden. Mehrere Ursachen wirken laut Erb zusammen, so ein unterprivilegierter Sozialstatus, Gruppendynamik, Ideologie, Alkohol und männlicher Stärkewahn. Am 14. und am 16. Juni werden die Diskussionen zum Thema Migranten und zum Strategiewechsel rechtsextremer Organisationen und Parteien fortgesetzt.