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Archiv-Artikel

Deutschland droht CO2-Insolvenz in zehn Jahren

KLIMASCHUTZ Experten fordern Weltklimabank, bei der Industriestaaten CO2-Rechte kaufen sollen

BERLIN taz | „CO2-Budget“, Atmosphärenkapital“, „Weltklimabank“ – hinter diesen Begriffen steckt eine neue Idee, um das Klimaproblem zu lösen. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen (WBGU) hat sie in seinem Sondergutachten „Kassensturz für den Weltklimavertrag: Der Budgetansatz“ entwickelt. Die Forscher übergeben es am Dienstag der Regierung. Demnach bekommt jedes Land ein Kohlendioxid (CO2)-Guthaben – und Deutschland ist bald insolvent.

„Bis zum Jahr 2050“, so erklären die Experten, „darf nur noch eine begrenzte Menge an Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen, um einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden“. Sie warnen vor Kreislauferkrankungen, Dürren und Verteilungskonflikten. Schon die G-8-Staaten hatten sich im Juli im italienischen L’Aquila geeinigt, dass die Erderwärmung auf 2 Grad Celsius beschränkt werden muss, um beherrschbar zu bleiben.

Um die 2-Grad-Marke einzuhalten – zumindest mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent –, dürfe der weltweite Ausstoß an klimabelastendem CO2 von heute bis 2050 die 750 Milliarden Tonnen nicht überschreiten, so die Regierungsberater. „Diese CO2-Menge haben wir gleichmäßig auf jedes Land gemäß der Bevölkerungsstärke verteilt“, erklärt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und WBGU-Mitglied. Das ergebe das „nationale Atmosphärenkapital“.

Beispiel Deutschland: Das Budget von 2010 bis 2050 betrage 9 Milliarden Tonnen CO2. Die jährlichen Emissionen liegen derzeit bei 0,91 Milliarden Tonnen. Das Guthaben wäre also in zehn Jahren verbraucht, wenn der CO2-Ausstoß auf heutigem Niveau bleibt. Die von der Regierung bisher geplanten Minderungen reichten nicht.

Brasilien hingegen könnte seinen Ausstoß noch für 46 Jahre beibehalten, Indien für 88 und Burkina Faso für gut 2.800 Jahre. Wer sein Budget nicht ausschöpft, soll seine Emissionsrechte verkaufen können. Das Geschäft soll über eine „Weltklimabank“ abgewickelt werden. Der Handel, so wird prophezeit, werde „zu durchschnittlichen Geldflüssen von 30 bis 90 Milliarden Euro pro Jahr führen.“

Der CO2-Budget-Vorschlag soll die verfahrenen internationalen Klimadebatten neu bewegen. Rahmstorf: „Unsere Methode ist simpel und gerecht.“ Arme Länder müssten Klimaschutz nicht länger als Bürde sehen. Zum Klimagipfel im Dezember in Kopenhagen reist SPD-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel oder seine Nachfolge. Das Gutachten nimmt heute sein Staatssekretär entgegen – wegen Wahlkampfterminen, hieß es.

HANNA GERSMANN