: Ungeliebte Verantwortung
Niedersachsen will seine Schulen mit mehr Freiheiten bei Personalwahl, Etat und Lernzielen ausstatten. Die Pädagogen wittern mehr Gängelung und wollen keine Verwaltung des Mangels
von Kai Schöneberg
Die SPD-geführten Regierungen in Brandenburg, Berlin und NRW experimentieren mit dem Konzept schon seit Jahren, jetzt probiert es auch Niedersachsens CDU-Kultusminister Bernd Busemann mit der “eigenverantwortlichen Schule“ – und erntet nichts als Kritik, vor allem von den Lehrern. Der Minister will ihnen mehr Verantwortung für Personal, Etat und Lernziele geben, die Pädagogen wittern mehr Gängelung und Frust in den Lehrerzimmern.
Alles hatte damit angefangen, dass Busemann vor wenigen Monaten nur mit Mühe 100 Schulen zusammenbekam, die an einem zusammen mit der Bertelsmann-Stiftung gestarteten Modellprojekt teilnehmen wollten. Heute sind Lehrer-, Eltern- und Schülervertreter zu einem Hearing in Hannover geladen. Erst danach will Busemann sich festlegen, wann und in welchen Bereichen die Schulen mehr Freiheit bekommen sollen. Es dürfte Beschwerden hageln.
„Wir sind nicht gegen die Selbständigkeit – aber es kommt drauf an, wie das gemacht wird“, sagt GEW-Chef Eberhard Brandt, mit 29.000 Mitglieder die größte Lehrergewerkschaft im Land. Es sei doch „naiv und irrig“, wenn Busemann den Schulen künftig die Einstellung der Lehrer überlassen wolle. „Eine regional wirksame Schulbehörde, die für die gleichmäßige Unterrichtsversorgung im Land sorgt“, müsse erhalten bleiben. Sonst gebe es bald in den weniger beliebten Schulen auf dem Land keine Chemie- und Kunstlehrer mehr. „Sehr übel aufgestoßen“ ist Brandt auch, dass Busemann die Gesamtkonferenz „aushebeln“ wolle. Laut einem Papier aus dem Kultusministerium sollen die Konferenzen, in denen bislang Lehrer, Eltern und Schüler Mitspracherecht haben, durch eine Schulverfassung ersetzt werden. Das würde auch eine Stärkung der Rektoren bedeuten.
„Verkürzung der Schulzeit, Zentralabitur, Reform der Oberstufe, zentrale Abschlussprüfungen, mit all diesen Neuerungen sind wir noch bis 2010 beschäftigt“, findet Guillermo Spreckels, der Landeschef des Philologenverbandes, in dem gut 6.000 Gymnasiallehrer in Niedersachsen organisiert sind. Auch Manfred Busch vom Realschullehrerverband lehnt noch mehr Neuerungen ab: „Die im letzten Jahr begonnene Schulstrukturreform kann nur dann erfolgreich abgeschlossen werden, wenn die Schulen nicht schon wieder durch die nächsten Reform belastet werden.“ Vor lauter Reformen werde der Unterricht „zu einer Randerscheinung der Schule“, meint Spreckels. Das „Raumschiff Kultusministerium“ ziehe seine Bahnen weit entfernt vom Schulalltag. Zudem seien die Lehrer nicht „an einer eigenverantwortlichen Verwaltung des Mangels interessiert“.
Wie wenig Geld für Reformen übrig ist, zeigte sich gestern mal wieder, als Busemann mit der Meldung vor die Presse trat, er habe Anträge von 130 Schulen genehmigt, die ein Ganztagsangebot vorhalten wollen. Damit gebe es ab kommenden Schuljahr 453 Ganztagsschulen in Niedersachsen.
Die neuen Nachmittagsangebote erhalten zwar Baufördermittel vom Bund, aber keinen zusätzlichen Euro vom Land. Die ‚Ganztagsschule light‘ besteht in Niedersachsen an drei Tagen in der Woche aus Kursen von Kirchen, Rotem Kreuz oder Landessportbund. „Echte“ Ganztagsschulen, an denen an vier Nachmittagen Lehrer unterrichten, kosten 200.000 Euro im Jahr – die meisten der 275 bestehenden wurden noch von der alten SPD-Regierung genehmigt. Busemann weiß, dass bei den kommenden Beratungen für den Etat 2006 weitere Kürzungen drohen. Die ‚Light‘-Schule dürfte also Regel werden: „Das Land gibt nichts dazu, weil es nichts hat“.