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Archiv-Artikel

Iraks Kurden haben einen Präsidenten

Masud Barzani legt in Arbil seinen Amtseid ab. Konflikte mit seinem Rivalen, Staatschef Jalal Talabani, deuten sich an

ARBIL taz ■ Irritiert schaut Rizgar Abdulla dem Autokorso nach, der gerade an seinem Stand im Zentrum von Arbil vorbeifährt. Fahneschwenkend und mit dröhnenden Lautsprechern feiern sie überschwänglich die Wahl von Masud Barzani zum Präsidenten Irakisch-Kurdistans. Ja, er freue sich über die Wahl, sagt der Kaufmann. „Erstmals in der Geschichte haben wir Kurden einen eigenen Präsidenten.“ Dass die Jubelnden aber neben der kurdischen Fahne auch die gelbe Flagge von Barzanis Demokratischer Partei Kurdistans (KDP) aufgeplanzt haben, behagt ihm gar nicht. „Sie sollten die Parteiembleme weglassen, er ist doch jetzt der Präsident von allen Kurden.“

Gestern Mittag legte Barzani den Eid ab. Er ist damit das erste gewählte „Staatsoberhaupt“ der seit 14 Jahren mehr oder minder eigenständigen Region im Norden des Irak, und nach dem Präsidenten der kurzlebigen Republik Mahabad im Iran Mitte der Vierzigerjahre der zweite kurdische Präsident überhaupt. Damit sind die Kurden ihrem Streben nach einem eigenen Staat einen weiteren Schritt näher gerückt. Mehr als der Wunsch nach Unabhängigkeit brennt Rizgar Ahmed der Zusammenhalt unter den irakischen Kurden unter den Nägeln. „Hoffentlich haben die Auseinandersetzungen wirklich ein Ende“, sagt er.

Nachdem die irakischen Kurden 1991 den Sieg über das Saddam-Regime davongetragen hatten, verwickelten sie sich Mitte der Neunzigerjahre in einen langjährigen Abnutzungskrieg, der schließlich zur Spaltung der Region in einen von der KDP und einen von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) beherrschten Landesteil führte. Barzani regierte fortan die nordwestlichen Gebiete mit der kurdischen Hauptstadt Arbil und sein ewiger Rivale Jalal Talabani die Region im Südosten um Suleimaniya. Trotz Vermittlung vor allem der USA ist es bis heute nicht gelungen, die beiden getrennten Verwaltungen unter einem Dach zusammenzuführen. Daran haben auch die Wahlen zum kurdischen Regionalparlament im Januar wenig geändert. Zwar traten die beiden Parteien auf einer gemeinsamen Liste an, was ihnen 85 der 111 Sitze einbrachte. Doch gingen noch einmal vier Monate ins Land, bis das Parlament sich zu seiner konstituierenden Sitzung einfand. Im Gegenzug für ihre Zustimmung zur Wahl von Talabani zum Staatspräsidenten des Irak hatte die KDP die Einführung des Präsidentenamtes in Kurdistan gefordert. Am Sonntag wurde Barzani von den Abgeordneten des Regionalparlaments einstimmig zum Präsidenten gekürt.

„Mit einem eigenen Präsidenten haben wir mehr Gewicht in Bagdad“, sagt Pakhshan Zangana, die für die Kommunistische Partei in der kurdischen Kammer sitzt. Das erhofft sich auch der Vertreter der radikalen Islamischen Gemeinschaft. „Damit wird ein neues Kapitel eröffnet, das den Weg zur Rechtsstaatlichkeit in Kurdistan und im Irak ebnet“, sagt Abdur Rahman Ahmed. Freilich könnten sich die Kurden bald schon in der absurden Lage wiederfinden, dass ihr Präsident mit dem kurdischen Staatsoberhaupt des Gesamtirak auf Kollisionskurs gerät. Spätestens dann nämlich, wenn die Diskussion um die künftige Verfassung in die heiße Phase gerät. Zwar ließ es sich Talabani nicht nehmen, zur Vereidigung seines Kollegen in Arbil eigens aus Bagdad anzureisen. Doch machte er in seiner Festrede auch deutlich, dass eine Verfassung höchste Priorität genießt. Bei großen Teilen der PUK herrscht mittlerweile Katerstimmung, da Barzani als Präsident von Kurdistan Vollmachten genießt, die ihr zu weit gehen. So kann er das Parlament auflösen, vor allem aber ist er Oberbefehlshaber aller Peshmerga-Verbände, auch wenn ihm mit Kosret Rasul ein PUK-Veteran als Vize zur Seite gestellt wurde. Diese Scharte hofft man insgeheim über die Verfassung auszuwetzen, in der das gesamte Land nur einen Präsidenten erhalten soll. Demgegenüber machte Barzani bei seinem ersten Auftritt nach der Wahl deutlich, dass er sich vor allem einem verpflichtet fühlt: dem Kampf der Kurden um möglichst weit gehende Selbständigkeit von Bagdad.INGA ROGG