piwik no script img

Nah an Mensch, Tier, Baum und Strauch

Im KVOST Ost schlagen die Aktionen der Karl-Marx-Städter Künstlergruppe Clara Mosch eine verblüffende Brücke zur Gegenwart: vom Bäumeverbinden zum Klimakleben

Baumbesteigung 1979 beim Pleinair auf Rügen, Foto von Ralf-Rainer Wasse © Lindenau-Museum Altenburg/Archiv Ralf-Rainer Wasse/courtesy: KVOST, Berlin

Von Tom Mustroph

Alte Kunst kann Schätze bergen. Einen solchen Schatz hebt gerade der Kunstverein Ost (KVOST), der im einstigen Neubaugebiet der Leipziger Straße sein Domizil gefunden hat und sich aktuellen und vergangenen Kunstströmungen aus Osteuropa verpflichtet fühlt. Eine der interessantesten Künstlergruppen aus der Spätzeit der DDR stellt Clara Mosch dar. Die nach den Initialen der Beteiligten bezeichnete Gruppierung – CLA kam von Carlfriedrich Claus, RA von Thomas Ranft und Dagmar Ranft-Schinke, MO von Michael Morgner und SCH von Gregor-Torsten Schade – war eigentlich eine Produzentengalerie im damals noch Karl-Marx-Stadt genannten Chemnitz.

Weil es für Clara Mosch aber sogar einen Pass gab, mit dem Bild eines verschleierten Kopfes als Foto, und weil die Künst­le­r*in­nen immer wieder unter dem Label Clara Mosch agierten, war die Wahrnehmung als Gruppe nur folgerichtig.

Zur Legendenbildung trug auch die relativ kurze Lebenszeit bei. Clara Mosch wurde 1977 gegründet. Am 15. Mai 1982 meldete die DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ bereits ihr Ableben. Gut, der Fernsehauftritt war fingiert. Der Medienkünstler Lutz Dammbeck fertigte ein Blatt mit einem Videostill der Politsendung und der darin mit roter Farbe integrierten Todesnachricht an.

Diese Art von Humor und politischer Widerständigkeit war typisch für Clara Mosch. Das lässt sich auch an den Aktionen der Gruppe ablesen. 1980 führte sie eine „Mehl-Art“-Aktion durch, was gleichermaßen eine Persiflage auf die damals boomende Mail Art wie auf die offizielle DDR-Kunstpolitik von der Verbindung von Kunst und Industrie darstellte. Clara Mosch buk hier Kunst als Brot.

Noch politischer wurde die Gruppe in der von ihr – auch nach dem offiziellen Ableben – 1983 als Pleinair organisierten Aktion „Bäume Verbinden“. Auf mehreren Fotos sieht man Menschen auf kahle Bäume im Thüringer Wald steigen und deren Äste mit weißen Mullbinden umwickeln. Waldsterben war damals ein Top-Thema der Ökologiebewegung, und ein unübersehbares Zeichen für die Bedrohung des Planeten durch die Industriegesellschaft. Die verbundenen Zweige und Äste ragten noch lange wie weiße Skelett-Teile in den geschundenen Wald. Anders als bei sonstigen Aktionen, bei denen die Eingriffe in die Natur nur temporär blieben, ließen die Künst­le­r*in­nen das Verbandsmaterial an den Bäumen.

Pleinairs, wie sie die Gruppe initiierte, stellten in jenen Jahren eine beliebte Ausdrucksform der staatsferneren Künst­le­r*in­nen dar. Sie waren nicht eingeschränkt durch den staatlich organisierten Kunstbetrieb der offiziellen Galerien, waren auch fern von der Doktrin, als ‚sozialistisch‘ gebrandete Arbeit verherrlichen zu müssen, und blieben dennoch nah an Mensch, Tier, Baum und Strauch.

Unkontrolliert blieben sie freilich nicht. Nach dem Mauerfall musste die fünf Clara Mosch-Künstler*innen feststellen, dass gleich 120 Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit auf sie angesetzt gewesen waren. Das Ausmaß von Überwachung, Einschüchterung und Manipulation zeigt exemplarisch der ebenfalls in der Ausstellung gezeigte Film „Clara Mosch oder die schöpferische Zersetzung“, produziert für den MDR im Jahre 1991. Anders als in vielen anderen Untergrundkunstszenen der alten DDR konnten die Clara Mosch-Mitglieder zumindest aufatmen, dass niemand von ihnen von der Stasi rekrutiert wurde.

Pleinairs waren in jenen Jahren eine beliebte Ausdrucksform

Allerdings war der Dokumentarist der Gruppe, Ralf-Rainer Wasse, von der Staatsmacht nicht nur angeworben, sondern wurde für seine Dokumentationstätigkeit vergleichsweise fürstlich entlohnt. Der Hinweis auf ein monatliches Salär von 400 Mark – damals knapp die Hälfte des Durchschnittseinkommens – findet sich in den Akten. Insgesamt sollen sich die Zuwendungen des MfS an Wasse auf über 100.000 Mark belaufen haben. Laut Stephan Koal, dem Kurator der Ausstellung im Kvost, dürfte Wasse damit einer der höchstbezahlten IMs gewesen sein.

Das Gros der Bilder in der aktuellen Ausstellung stammt auch von Wasse. Das fügt diesem Rückblick auf frühe Aktionskunst in der DDR einen recht verstörenden Filter hinzu. Denn völlig unklar bleibt, ob der als Fotograf und Gestalter durchaus talentierte Wasse als Co-Künstler durch den Sucher blickte, der die Aktion einfangen und für die Nachwelt gestalten wollte oder als offiziell bestallter Fotograf des Sicherheitsapparats. Clara Mosch, der Frauenkopf mit dem verhüllten Antlitz, strahlt bis in unsere Zeit.

Kunstverein Ost, bis 30. 7.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen