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Virtuelles Sit-in im Internet vor Gericht

Vor vier Jahren blockierte eine linke Gruppierung mit einer „Online-Demo“ die Website der Lufthansa – aus Protest gegen Abschiebungen per Flugzeug. Nun muss sich ein Gericht erstmals mit der Versammlungsfreiheit im Internet befassen

„Ich dachte eigentlich, mit Nötigung kenne ich mich aus“

AUS FRANKFURTCHRISTIAN RATH

Gilt die Versammlungsfreiheit auch im Internet? Und wo sind hier die Grenzen? Diese Fragen muss erstmals das Amtsgericht Frankfurt/Main klären. Gestern wurde der Prozess gegen einen Anti-Abschiebungs-Aktivisten eröffnet. Der Vorwurf: „Aufruf zur Nötigung“ der Lufthansa.

Im Juni 2001 hatte die linke Gruppierung Libertad! zu einer „Online-Demonstration“ mobilisiert, um gegen die Beteiligung der Lufthansa an der „menschenunwürdigen und teilweise tödlichen“ Abschiebung von Ausländern zu protestieren. Pünktlich zur Hauptversammlung des Konzerns sollte das Lufthansa-Buchungssystem im Internet lahm gelegt werden. Den Teilnehmern des „virtuellen Sit-ins“ wurde sogar spezielle Software zur Verfügung gestellt, die den massenhaften gleichzeitigen Zugriff auf die Seite erleichterte.

Nach Angaben der Lufthansa hatte die Aktion durchaus Wirkung. Es gab rund 1,2 Millionen Zugriffe auf die Seite, die von etwa 13.000 verschiedenen Computern ausgingen. Acht Minuten lang konnte die Seite überhaupt nicht aufgerufen werden, ansonsten war Lufthansa.com an diesem Vormittag sehr langsam, drei bis zehn Minuten mussten die Kunden auf eine Reaktion warten.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 49-jährigen Andreas-Thomas Vogel nun vor, er sei für die Aktion verantwortlich, da er Inhaber der Webseite www.libertad.de ist, auf der für die Online-Blockade geworben wurde. Rund ein Dutzend Computer und hunderte Speichermedien wurden beschlagnahmt und ausgewertet. Laut Strafgesetzbuch drohen Vogel bis zu fünf Jahre Haft, im Vorfeld wurde ihm aber bereits die Einstellung des Verfahrens „wegen geringer Schuld“ angeboten. Doch Vogel und sein Anwalt Thomas Scherzberg wollen einen Freispruch erreichen.

Ihr Antrag, das Verfahren sofort mangels Strafbarkeit des Delikts zu beenden, wurde von Richterin Bettina Wild zunächst abgelehnt. Sie will erst die Beweisaufnahme durchführen. Der Angeklagte Vogel reagierte grinsend: „Ich dachte ja, dass ich mich mit Nötigung auskenne, aber da kann ich heute noch viel lernen.“

Das gilt möglicherweise auch für die Polizei. Ihr waren die Aufrufe zur Internet-Aktion durchaus vorab bekannt gewesen, doch Anlass zum Eingreifen sah sie nicht. Dabei hatten die Aktivisten die Demo sogar noch – wie eine Kundgebung auf der Straße – beim Ordnungsamt angemeldet. Aber auch die dortigen Beamten blieben untätig. So stehen zumindest die Chancen gut, dass Vogel ein „Verbotsirrtum“ zugebilligt wird.

Damit bliebe allerdings die Frage offen, ab wann eine symbolische Störung von Online-Angeboten in eine strafbare Nötigung umschlägt. Eine Vertreterin der Lufthansa gab gestern an, dass die Airline insgesamt 47.000 Euro aufgewandt habe, um sich auf die Internet-Attacke vorzubereiten. „Wir haben vorsichtshalber die Bandbreite unseres Internetangebots um den Faktor 10 erhöht“, sagte die Mitarbeitern. Außerdem habe es an diesem Tag auch „deutlich weniger“ Buchungen gegeben. Wie viele Aufträge der Airline konkret entgangen sind, weil Kunden zur Konkurrenz wechselten, konnte die Zeugin nicht sagen.

Der Prozess begann in angespannter Atmosphäre. Vor dem Gericht demonstrierten etwa 50 Personen für den freien Onlineprotest und gegen staatlichen Rassismus. Im Saal war das Publikum wie in einem Terroristenprozess mit einer Trennscheibe vom eigentlich Verhandlungsraum getrennt. Auf Beifallsbekundungen reagierte die Richterin scharf und ließ zwei junge Männer von der Polizei aus dem Saal schleifen. Später beruhigte sich das Klima etwas. Der Prozess wird am 1. Juli fortgeführt.

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