: Vor der Massenblockade
PROTEST Mit Demonstrationen gegen die EU-Krisenpolitik will die Occupy-Bewegung in dieser Woche wieder auferstehen. Wer steckt dahinter?
■ Mittwoch: Demonstration ab 14 Uhr vor der Europäischen Zentralbank und ein „Rave against Troika“ an der Hauptwache ab 19 Uhr.
■ Donnerstag: Ab 14 Uhr zelten auf Plätzen und Wiesen. 17.05 Uhr: Flashmob gegen Homophobie an der Hauptwache.
■ Freitag: Massenblockade der Europäischen Zentralbank ab 6 Uhr, am Nachmittag vielfältige Aktionen in der gesamten Innenstadt.
■ Samstag: Demonstration ab 12 Uhr vom Baseler Platz zum Willy-Brandt-Platz.
■ Mehr Informationen, auch zum aktuellen Stand der Klagen gegen das Demonstrationsverbot: www.blockupy-frankfurt.org
AUS FRANKFURT AM MAIN UND MARBURG TIMO REUTER
Von Mittwoch bis Samstag soll Frankfurt am Main das deutsche Zentrum des Protests gegen die Banken werden, Straßenblockaden inklusive. Die Stadt hat ein Verbot gegen sämtliche Aktionen ausgesprochen, die Demonstrationsanmelder wollen sich ihr Protestrecht durch alle Instanzen erklagen. Währenddessen laufen bei verschiedenen Gruppen die Vorbereitungen – drei Ortsbesuche.
Konflikttraining
Sechs Polizisten stehen zehn Demonstranten gegenüber und versuchen, die Protestierenden aufzuhalten. Die stürmen aber auf die Polizeikette zu, rufen „Haut ab“ und schaffen nach etwas Gerangel den Durchbruch: Die zehn jungen Männer und Frauen haben einen Marburger Hinterhof erobert.
„So einfach wird das in Frankfurt nicht“, sagt eine junge Aktivistin, die an diesem Aktionstraining zur Vorbereitung auf die Maiproteste teilnimmt und gerade Polizistin gespielt hat. „Und was machen wir, wenn jemand festgenommen wird?“ Das müsse man situativ entscheiden, erklärt Bastian von der Marburger Gruppe „Dissident“. Die antikapitalistische Initiative ist Teil der „Interventionistischen Linken“ und hat das Aktionstraining organisiert, besonders um Protestneulingen „ein sicheres Gefühl für die Demos“ zu geben, sagt Bastians Mitstreiterin Mathilde. Beide möchten ihren richtigen Namen nicht nennen „aufgrund von Repressionen wie Hausdurchsuchungen“.
Bastian glaubt, dass nach den weltweiten Protesten im vergangenen Jahr diese nun „im Herzen der Bestie“ ankommen werden. Auf dem Vorbereitungsprogramm steht auch der Umgang mit Bankangestellten. „Denn die sind genauso wie die Polizei nicht unsere Gegner“, sagt er. Also wolle man während der geplanten Blockaden deeskalierend mit ihnen kommunizieren.
Zum Jahreswechsel 2005 schlossen sich linke Gruppen aus ganz Deutschland zum losen Bündnis „Interventionistische Linke“ zusammen, das eine der tragenden Kräfte für die Mobilisierung zu den Anti-G8-Protesten 2007 in Heiligendamm war. Im Gegensatz zu anderen linksradikalen Gruppierungen ist es das Ziel der antikapitalistischen Gruppe, Massenproteste zu organisieren, anstatt nur unter Gleichgesinnten zu bleiben. Gleichzeitig soll eine „radikale Kritik“ formuliert werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte die Gruppe als „linksextremistisch“ ein. Für die Proteste in Frankfurt setzt das Bündnis auf zivilen Ungehorsam. Bastian, wie auch die meisten Aktivisten der Gruppe, lehnt zwar „radikalere Aktionen“ nicht grundsätzlich ab, die Interventionisten rufen aber nicht zu Gewalt auf. Bastian betont den Konsens für die Maiproteste: Von Blockupy-Aktionen solle „keine Eskalation ausgehen“.
Tag und Nacht im Einsatz
Roman Denter sieht müde aus, seine Haare sind zerzaust. Zu viel hat der Attac-Aktivist in den Wochen vor den Protesten zu organisieren, als dass er sich genug Schlaf gönnen würde. Seit Tagen ist der 36-Jährige ständig auf Achse: In Brüssel hat er Flyer verteilt, in Berlin eine Probeblockade organisiert und in Koblenz mit anderen Aktivisten einen großen „Troika-Drachen“ aus Pappmaschee und Draht gebastelt. Von dort aus kam er direkt nach Frankfurt, um an einem Treffen des Demonstrationsbündnisses im DGB-Haus teilzunehmen. Eine Nacht schlief er im Attac-Büro, von dem man die Bankentürme sieht, die an diesem Tag in den blauen Himmel ragen. „Wir wollten den weltweiten Protest endlich hierhertragen, an den Sitz der Europäischen Zentralbank“, sagt Denter.
Von Müdigkeit ist jetzt bei ihm nichts zu sehen, der Wahl-Berliner wirkt hellwach, wenn er sich gestikulierend über den „Rückfall in autoritäre Strukturen durch das Spardiktat der Troika“ ärgert: „Demokratischen Widerstand gegen antidemokratische Politik“ zu organisieren, das sei der Dreh- und Angelpunkt seines politischen Engagement.
Bereits in seiner Jugend war er in antifaschistischen Gruppen aktiv, zu Attac kam er 2007. Für die Protesttage in Frankfurt sei Attac auch ein „Scharnier, das verschiedene Protestgruppen vernetzt“, sagt der smarte Mann im schwarzem T-Shirt. Dafür können die Globalisierungskritiker auf ein europaweites Netzwerk mit vielen Ortsgruppen und guten Kontakten zu anderen Initiativen zurückgreifen. Das wurde bereits im Vorfeld hier in Frankfurt deutlich, als das Attac-Büro den Occupy-AktivistInnen zum Malen von Bannern diente.
Denter glaubt, dass ab dem 16. Mai Demonstranten aus ganz Europa anreisen werden, „egal ob die Stadt Frankfurt die Proteste verbieten will“. Durch die Mobilisierung „von mehr als 10.000 Menschen soll gezeigt werden, dass die herrschende Politik nicht alternativlos ist“. Um das zu erreichen, ist er seit Wochen im Dauereinsatz. Dafür lebt der Selbstständige momentan nur von Ersparnissen. „In der Vorbereitung auf die Maiproteste hätte ich auch kaum Zeit für eine Erwerbsarbeit.“
Der bunte Haufen
THOMAS OCCUPY, EXANLAGENHÄNDLER
Nur wenige hundert Meter vom Attac-Bundesbüro entfernt liegt im Schatten der Bankentürme das Occupy-Camp. Hier geht es chaotischer zu, zwischen etwas Müll und ein paar Dutzend Zelten wuseln etwa genauso viele AktivistInnen herum. Auf einer Parkbank sitzt Thomas. Hinter ihm hat der „AK Flower Power“ ein kleines Beet angelegt.
Weit mehr als 150.000 Flyer für die Maiproteste seien schon verteilt worden, erzählt der 52-Jährige stolz. Der Mann, der sich „Thomas Occupy“ nennt, verbringt laut eigenen Angaben „40 bis 80 Stunden pro Woche“ mit Vorbereitungen für die Protesttage. Früher, erzählt er, habe er Kapitalanlagen verkauft, „aber jetzt bin ich im vorzeitigen Ruhestand“. Er lächelt zufrieden und steckt die Hände in seine Jeans. „Ich bin einer der wenigen Kapitalisten hier.“ Denn der Kapitalismus sei „eigentlich recht brauchbar, wenn er die Moral nicht vergisst“.
Das sehen nicht alle bei Occupy so, widerspricht prompt Stefan, der seit Silvester vor dem Turm der Europäischen Zentralbank zeltet: „Der Kapitalismus macht krank.“
Im Camp in der Frankfurter Innenstadt tummeln sich Ältere und Jüngere, Passanten und Umweltaktivisten, Linksradikale, Reformer und Obdachlose. Viele eint das Unbehagen über das Bestehende und die Lust am Sozialexperiment. Manche sind auch nur gekommen, um einen warmen Tee zu trinken. „Wir sind erst mal offen für jeden und können nicht alle kontrollieren“, so Thomas. Das Ordnungsamt erließ zuletzt strengere Auflagen und verhängte ein Bußgeld von über 4.000 Euro wegen mangelnder Hygiene und Müllentsorgung. Wie lange das Camp noch bestehen bleibt, ist unsicher.
Deshalb sind sich alle Aktivisten trotz der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede einig: Die Maiproteste werden ein wichtiger Baustein in ihrem Protest, „weil wir dann Masse zeigen können“, sagt Stefan. Der Fortbestand des Camps in Frankfurt könnte vom Erfolg der Maiproteste abhängen, glauben etliche Aktivisten. Ohnehin gibt es schon weitere Ableger. Thomas macht sich anschließend auf den Weg zu einem Treffen der Gruppe „Occupy Money“, die über das Geldsystem diskutiert. Er meint: „Die Bewegung wird so oder so weitermachen.“