piwik no script img

Archiv-Artikel

Besuch im Jahr des Drachen

KULTUREXPORT Gleich zwei Festivals wollen in diesem Jahr Chinas musikalische Vielfalt präsentieren. Zwischen Klassik, Pop und Folk setzen sie unterschiedliche Akzente

Müßig ist es zu fragen, welches Festival nun das „wirkliche China“ von heute abbildet

VON STEFAN FRANZEN

Das Jahr des Drachen steht laut chinesischem Horoskop für Glück, Güte und Intelligenz und auch für Reichtum. Zumindest astrologisch sind das also beste Voraussetzungen für ein Chinesisches Kulturjahr in Deutschland. Offiziell wird es damit begründet, dass beide Länder vor 40 Jahren ihre diplomatischen Beziehungen aufgenommen haben. Doch trotz enger, täglicher Kontakte im wirtschaftlichen Bereich wird Chinas Kultur hierzulande bis heute meist auf ein paar Stereotypen reduziert.

Ganz so aber, wie die Speisekarte in einem chinesischen Restaurant hierzulande oft nur sehr bedingt mit dem zu tun hat, was im Reich der Mitte wirklich gegessen wird, verhält es sich auch mit der Kunst. Die beiden China-Reihen, die in diesem Sommer in Deutschland zu erleben sind, können da als Korrektiv dienen, um die tatsächliche Vielfalt des Landes zu zeigen.

Abendländisches Terrain

Beim Schleswig-Holstein Musik Festival werden dafür keine Kosten gescheut, allein die Zahlen sind überwältigend: 138 Konzerte an 77 Spielstätten präsentiert man von Anfang Juli bis Ende August im hohen Norden, das Gesamtbudget beträgt nahezu 8 Millionen Euro, unter den potenten Sponsoren finden sich Banken, Auto- und Energiekonzerne. Zu dem China-Schwerpunkt des Festivals schickt der kommunistische Staat seine repräsentativen Klangkörper und Interpreten, das Shanghai Symphony Orchestra und Starpianist Lang Lang sowie dessen erklärten Nachfolger, das 17-jährige Wunderkind Bi Cong. Mit Zhu Xiao-Mei ist auch eine Spezialistin für Johann Sebastian Bach am Start, während der weltweit bekannte Komponist Tan Dun eine Uraufführung seines Schlagzeugkonzerts zelebriert.

Die Eckpfeiler dieser Mammutveranstaltung sind unverkennbar in abendländisches Terrain eingerammt – und das mit gutem Grund: China will sich gegenüber dem klassischen westlichen Musikbetrieb wettbewerbsfähig zeigen, das Abendland kontert mit Chinoiserien von Puccini, Hans Christian Andersen und Hermann Hesse. Aber auch die traditionellen Klänge Chinas werden zu hören sein: Die China National Peking Opera Company lässt für die stilechte Aufführung einer Oper eigens Originalkulissen verschiffen. Instrumente, die im Westen wenig bekannt sind, werden von Virtuosen vorgetragen: die Harfe Guzheng, die Laute Pipa oder die Querflöte Dizi. Moderne Ensembles arbeiten deren Klänge in ihre Kompositionen ein – so wie das Duo Seidenstraße, das Chinesisches mit Westlichem verknüpft.

Stilisiertes Ethnoflair

Im traditionellen Bereich des Festivalprogramms zeigt sich allerdings auch eine gewisse Nachlässigkeit. Die Musik der 56 ethnischen Minderheiten, die es in China gibt, beschränkt sich weitgehend auf das Ensemble Eastern Voices und die sphärische Popshow von Dadawa, die als „chinesische Enya“ stilisiertes Ethnoflair verströmt. Mongolische Folk-Künstler wie die Sängerin Urna Chahar-Tugchi und das Ensemble Egschiglen wiederum sind hierzulande seit vielen Jahren bekannt. Innerhalb der Parameter eines Klassikfestivals wurden hier aber wohl die maximalen Möglichkeiten ausgeschöpft.

Die passende Ergänzung dazu bietet das Tanz- und Folkfest im thüringischen Rudolstadt. Mit einem weitaus kleineren Etat und auf drei Tage beschränkt, aber dafür keinerlei repräsentativen Zwängen unterworfen, hat man sich auch hier einen China-Schwerpunkt verschrieben. Kuratiert hat ihn ein ausgewiesener Experte, Robert Zollitsch, der selbst in China lebt. Die Auswahl, die der gebürtige Bayer für das Festival in Thüringen getroffen hat, ist auch als Gegenprogramm zu den Konzerten in Schleswig-Holstein entstanden. Zollitschs Anliegen ist es, jene Facetten aufzuzeigen, die bislang ausgeblendet geblieben sind.

Nicht immer nur Lang Lang

„Ich finde es wichtig, das wirklich China von heute zu zeigen. Nicht immer nur Lang Lang“, begründet er seinen Ansatz. Zollitsch verweist auf ein Paradox der chinesischen Musik: Chinas moderne Komponisten und Solisten wären nach der Kulturrevolution sehr stark vom akademischen Betrieb des Westens geprägt worden; lokale Traditionen würden allenfalls als Kolorit in ihre Kompositionen einfließen.

Zollitsch geht es darum, die anderen Seiten Chinas zu zeigen und sowohl stilistisch als auch geografisch zumindest einen groben Eindruck von der klanglichen Vielfalt des Riesenlandes zu geben, das vom Hoheitsgebiet der uigurischen Turkvölker im Westen bis zum Gelben Meer reicht, vom tropischen Süden bis in die Steppen des Nordostens. Statt der Vormachtstellung der Peking-Oper zu huldigen, hat er deshalb mit dem Kunqu stattdessen eine weitaus ältere Opernvariante aus dem Süden nach Rudolstadt geholt. „Hier geht es nicht so aggressiv zu, wie es in der Peking-Oper oft der Fall ist“, erklärt Zollitsch: „Das sind sehr feine Klänge.“

Chinas ländliche Musik wird durch die Gruppe Yi Jia Ren repräsentiert, die gewöhnlich zu Beerdigungen und Hochzeiten spielt und mit der Schalmei Suona und der Mundorgel Sheng ziemlich durchdringende Klänge aufbietet. Und statt Tibeter und Mongolen, die auf hiesigen Konzertbühnen bereits gut vertreten sind, werden in Rudolstadt weniger bekannte Minderheiten vertreten sein – eine Tanzgruppe der Miao aus Zentralchina und ein uigurisches Ensemble, das sich an islamischen Traditionen orientiert. Folkfreaks dürfen sich auf den Sound von Er Shou Mei Gui freuen: Die Band verbindet die Volksmusik des Nordostens mit Punk, auch in ihren Lyrics nimmt sie sich manche Freiheiten heraus. „Texte werden in China nur zensiert, wenn sie ganz offen systemkritisch sind“, ist Zollitschs Eindruck – die Vorstellung einer allgegenwärtigen staatlichen Kontrolle sei falsch.

Chinas TV an der Saale

Dafür spricht auch, das alle Musiker, die auf die Reise nach Rudolstadt gehen, vom Kulturministerium nicht nur abgenickt wurden – das Programm wurde sogar von höchster Stelle gefördert. Das man sich damit vom ausschließlichen Export staatlicher Ensembles verabschiedet, wie er bis vor Kurzem noch üblich war, ist ein Zeichen für einen Wandel. Zudem fliegen einige große chinesische TV-Anstalten mit, um ihre Kameras in dem kleinen Ort an der Saale aufzubauen. „Wenn die chinesischen Zuschauer zu Hause diese unglaubliche Nähe zwischen Musikern und Publikum in Rudolstadt sehen, könnte das eine Anregung für den eigenen Kulturbetrieb sein“, hofft Zollitsch.

Die Frage, welches Programm nun das „wirkliche China“ abbildet, ist müßig, denn sowohl die staatlich geförderte Kultur als auch die Musik, die abseits der offiziellen Linien gespielt wird, gehören zur Realität des Landes. Schön ist es in jedem Fall, dass sich das Reich im Jahr des Drachen in diesem Jahr damit gleich auf doppelte Weise öffnet.