: Das Jahr der Genossenschaften
GENOINTERNATIONAL (3) Die taz verdankt ihren UnterstützerInnen alles – und unterstützt nun vier andere unabhängige Zeitungsprojekte in Schweden, Uruguay, der Türkei und: Tschechien. Die Kulturzeitung „Kulturní noviny“ aus Brünn kämpft gegen den Mainstream und für eine selbstbewusste Bürgergesellschaft
■ Name: Kulturní noviny (Kulturzeitung)
■ Erscheinungsort: Brünn
■ Gattung: Zweiwochenzeitung
■ Erscheinungsweise: zweimal pro Monat
■ Auflage: durchschnittlich 1.500
■ Vertriebsformen: Abo und Kiosk
■ Internetauftritt: www.kulturni-noviny.cz
■ Gegründet: 2011
■ Genossenschaft: seit 2009
■ Herausgeber: Kulturzeitung – Verlags- und Mediengenossenschaft
■ Die Aktion „Hand in Hand“: Das Geld, das bis zum 15. September bei der taz Genossenschaft eingeht, werden wir zu gleichen Teilen an die vier vorgestellten Genossenschaften von La diaria, BirGün, Fria Tidningen und Kulturní noviny geben.
Milan Kundera, der Schriftsteller, ist in Brünn geboren. Auch Adolf Loos, der Architekt, und Fritz Grünbaum, der österreichische Kabarettist. Die Stadt Brünn – auf Tschechisch Brno – ist nicht weit von Wien entfernt, und ihre kulturelle Identität war bis 1945 von Heterogenität geprägt. Deutsche, Juden, Tschechen. Im Sozialismus wurde die zweitgrößte Stadt Tschechiens dann zu einem bedeutenden Industriezentrum, doch trotz aller Zeitläufe war es immer die Kultur, die der Stadt am südöstlichen Rand der Böhmisch-Mährischen Höhe ihren spezifischen Charakter verlieh, insbesondere die Offkultur.
Auch deshalb fühlt sich die die erst im letzten Jahr gegründete Kulturzeitung Kulturní noviny in Brünn am richtigen Standort: Sie will sich von den anderen Zeitungen des Landes, die fast alle in der Hauptstadt Prag beheimatet sind, unterscheiden. Nur sieben feste und zwei, drei freie MitarbeiterInnen sind es, die ihr Augenmerk auch darauf richten, was sich außerhalb der Kapitale kulturell ereignet, nämlich in den Regionen. Die intellektuell schwergewichtige Zeitung steckt noch in leichten Kinderschuhen, und ohne die rund 50 externen AutorInnen wäre es nicht zu schaffen. Noch liegt der Schwerpunkt auf der Literatur, doch man versucht auch soziale und ökologische Themen ins Visier zu nehmen. Ein Traum für die Zukunft: die tiefgehende Beschäftigung mit der Politik des Landes, das noch immer von postsozialistischen Verwerfungen geprägt ist.
In Tschechien steckt auch die kritische Bürgergesellschaft noch in den Kinderschuhen, und Kulturní noviny versucht ihr eine Stimme zu geben. Die Leser, oft sind es Pädagogen, Ökologen, Künstler und Sozialarbeiter, sehnen sich nach einem Forum, in dem establishmentkritische Sichtweisen publik gemacht werden. Und auch nach einem Kulturbegriff, der nicht nur auf den Kommerz reduziert ist.
Der tschechische Medienmarkt ist dominiert von Mainstreammedien. Die fünf Tageszeitungen und drei Wochenzeitungen – größtenteils im Besitz ausländischer Investoren – sind liberal bis konservativ ausgerichtet und alternativ-sozialen Ideen gegenüber nicht gerade aufgeschlossen. Meinungsvielfalt? Die einzige Konkurrenz für Kulturní noviny, die Meinungszeitung, ist die rechtsliberale Zeitschrift Respekt.
Aller Anfang ist schwer, doch die kleine, nur alle zwei Wochen erscheinende Zeitung mischt sich schon jetzt kräftig ein. Zuletzt hat sie einen Rechtsstreit an der Universität Brünn öffentlich gemacht – es ging um nicht weniger als den Kampf um den Charakter des akademischen Raumes, um seine Freiheit und die Ethik einer unabhängigen Wissenschaft in Zeiten des Neoliberalismus.
Kulturní noviny war von Anfang an eine Genossenschaft – inspirieren ließen sich die Gründer von der taz. 19 waren es im Jahr 2009, am Ende dann wurden es 62. Renommierte UniversitätsprofessorInnen, alte antitotalitäre DissidentInnen, junge JournalistInnen, ÖkoaktivistInnen, LehrerInnen, KünstlerInnen, SchriftstellerInnen – sie alle einte die Idee, die tschechische Gesellschaft wieder selbstbewusster zu machen. Das Startkapital lag bei etwa 20.000 Euro, und heute ist es nicht mehr, sondern weniger geworden, nach den letzten Verlusten 12.000 Euro. Nicht gerade motivierend für die idealistischen MitarbeiterInnen, die von eher symbolischen Honoraren leben. Die RedakteurInnen bekommen ungefähr 120 Euro im Monat, was bedeutet, dass sie im richtigen Leben auf andere Einnahmequellen angewiesen sind.
An die Zukunft der Genossenschaft glauben sie trotzdem. Es geht um die demokratische Idee. Ein Mitglied, eine Stimme. Es geht um die Gemeinschaft und nicht zuletzt um die Unabhängigkeit von Großspendern oder Unternehmern. Kulturní noviny wagt als Genossenschaft einen schwierigen Spagat in einem postsozialistischen Land: Das Wort Genossenschaft weckt bei vielen Landsleuten ungute Assoziationen, waren Genossenschaften doch ein Instrument staatlicher Zwangsgewalt. Es gilt nun eher an historische Traditionen anzuknüpfen. In der Zwischenkriegszeit und auch davor waren Genossenschaften ein wesentlicher Teil des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens der tschechischen Gesellschaft. Die berühmte Tschechische Philharmonie wurde im Jahre 1904 als Genossenschaft gegründet, noch früher das Nationaltheater und später viele Verlage. Kurzum: Es geht darum zu zeigen, dass Genossenschaften nicht von gestern sind, sondern eine Zukunft haben. Auch in Tschechien.
Die kleine Meinungszeitung aus Brünn mit ihrer bescheidenen Auflage von nur rund 1.500 Exemplaren – sie hat es nicht leicht. Getragen aber wird sie vom Idealismus ihrer Macherinnen und Macher. Durchhalten wollen sie und eine immer bessere Zeitung machen. Doch ohne professionelle Werbung und einen ausreichenden MitarbeiterInnenstamm wird das, um es mit Milan Kundera zu sagen, keine Leichtigkeit des Seins.
■ Machen Sie mit, überweisen Sie Ihren Unterstützungsbeitrag auf folgendes Konto: GLS Gemeinschaftsbank, BLZ 430 609 67, Konto-Nr. 80 20 47 74 00; Kontoinhaber taz Verlagsgenossenschaft eG; Stichwort: Genointernational