: „Die Linke in Bolivien macht sich Illusionen“
In Bolivien eskaliert der Konflikt zwischen linker Bewegung und bürgerlicher Regierung. Doch die linken Rezepte taugen nicht: Verstaatlichungen werden die Massenarmut nicht kurieren. Bolivien braucht keine Revolte, sondern Demokratie
taz: Bolivien hat einen neuen Präsidenten. Wird er es schaffen, das Land zu befrieden?
Agustín Echalar: Das Land ist seit letztem Freitag wieder relativ ruhig. Trotz des Chaos und der Blockaden hat es bis Donnerstag keine Toten gegeben und danach nur einen. Das Land ist also weitgehend friedlich geblieben. Die Frage ist, ob Präsident Rodríguez regieren kann, denn ein Land ist schwer zu regieren, wenn durch Blockaden das tägliche Leben gestoppt wird.
Droht Bolivien eine Spaltung?
Es gibt die ernste Gefahr einer Spaltung. Santa Cruz, die Stadt im Tiefland, ist eine Region, die in den letzten Jahren großes Selbstbewusstsein entwickelt hat. Die Leute dort fühlen sich als die Erfolgreichen. Und sie haben das Gefühl, dass ihnen Bolivien nichts gibt, ob das nun wahr ist oder nicht. Man hat dort Angst vor den sozialen Bewegungen im Hochland und dass die das Ende der Erfolgsgeschichte des Ostens bedeuten könnten. Man hat auch Angst, dass die geplante Konstituierende Versammlung ein sozialistisches Wirtschaftssystem einführen wird. Das werden die Eliten und der Mittelstand von Santa Cruz nicht dulden und dabei wird ihnen vermutlich sogar die ärmere Bevölkerung im Tiefland folgen. Das könnte zur Forderung nach einer Trennung von Bolivien führen.
Wie wichtig ist Erdgas für Bolivien?
Man hat die Bedeutung des Erdgases übertrieben. Selbst wenn der Preis in der letzten Zeit sehr gestiegen ist, die Märkte sind weit weg, in Kalifornien zum Beispiel. Das größte Teil der Gewinne wird beim Transport gemacht, also wenn das Gas das Land verlassen hat. Das gesamte Geschäft würde – selbst wenn es verstaatlicht würde – für Bolivien nicht mal 500 Millionen Dollar jährlich bedeuten und nicht 1,4 Milliarden, wie Evo Morales sagt – das ist der gesamte Gewinn mit Transport.
Hätte die Verstaatlichung denn einen Sinn?
Nein. Auch deswegen, weil man dann noch eine Entschädigung bezahlen müsste, die mindestens 3,5 Milliarden Dollar kosten würde. Im Übrigen ist es nicht so, dass der Staat aufgrund der Privatisierungen und „Kapitalisierungen“ verarmt ist, sondern die haben überhaupt die Möglichkeiten geschaffen, das Gas zu finden und zu verkaufen. Man darf auch nicht vergessen, dass Bolivien 40 Jahre lang eine staatliche Wirtschaft hatte, die extrem korrupt und ineffizient war.
Wie groß sind die Chancen von Evo Morales, dem Führer der Kokabauern und der Bewegung für den Sozialismus (MAS), Präsident zu werden?
Evo Morales hat 2002 bei den Wahlen nur 20 Prozent bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er populärer geworden ist, das zeigten auch die Bürgermeisterwahlen 2004, bei denen seine Partei MAS nur 18 Prozent bekam. Würde er siegen, könnte es großen Widerstand gegen ihn geben, von der US-Botschaft, aber auch aus Santa Cruz. Dabei geht es aber um seine sozialistischen Ideen und nicht um die Tatsache, dass er Indianer ist. Im Übrigen: Wahlen sind etwas anderes als die Proteste, die es jetzt gab. Die waren dirigiert und organisiert, was auch mit den strengen Strukturen und den alten Systemen in den Anden zu tun hat. Wenn aber jeder individuell wählt, kann das ganz andere Ergebnisse bringen, vor allem in den Städten. Nicht unbedingt auf dem Land, da haben, wie sich gezeigt hat, in manchen Regionen die Gemeinden geschlossen abgestimmt.
Wie groß ist denn die Geschlossenheit der heute Protestierenden insgesamt?
Das ist schwer einzuschätzen. Wenn es ein Referendum zur Verstaatlichung des Erdgases gäbe, würden bis zu 80 Prozent dafür stimmen, ohne wahrzunehmen, was das alles bedeutet. Aber bei den Wahlen werden die Leute wie immer ganz verschiedene Parteien wählen. Und in den Reihen der Protestierenden gibt es auch viel Streit.
Ist die Zeit der traditionellen Parteien in Bolivien endgültig vorbei?
Die alten Parteien sind schwach, aber sie sind noch da. Was gefährlich ist, dass die sozialen Bewegungen auch die Gesellschaft gespalten haben. Und wir müssen jetzt auch den Beginn einer Reaktion dagegen fürchten, das heißt ein Erstarken der Rechten.
Wie wird sich Bolivien in den nächsten Monaten entwickeln?
Ich glaube, dass sich die Dinge momentan beruhigen werden. Doch wir bewegen uns in eine Richtung, die den Armen nicht das Glück bringen wird.
Was wäre denn die richtige Richtung?
Respekt vor der Realität. Die besten Möglichkeiten werden sich ergeben, wenn in Bolivien investiert wird, eine gewisse Stabilität und Respekt vor dem Gesetz herrscht. Da ist in den letzten zwei Jahren leider viel kaputt gemacht worden. Das Land braucht Stabilität und Demokratie. Die Tragödie ist, dass die Leute zu arm sind, um das zu verstehen.
INTERVIEW: THOMAS PAMPUCH