KARLSRUHE: VISA-AUSSCHUSS BLEIBT. JETZT DROHEN SCHILYS AUSSAGEN: Die unvertäute Kanone

Das Verfassungsgericht hat gestern verfügt, dass der Visaausschuss nicht einfach abgebrochen werden darf. Karlsruhe hat der Noch-Regierungskoalition damit nicht allein eine Niederlage für ihr arrogantes Auftreten in dem Untersuchungsausschuss bereitet. Die Richter steigern auch das Risiko für Rot-Grün: das Risiko nämlich, dass ein zerfallendes Machtbündnis bei seinem ungeordneten Rückzug aus der Regierung vollends in chaotische Verhältnisse gerät. Der Garant dafür heißt Otto Schily.

Die Gefahr für Rot-Grün liegt in der Sache und in der Person. Den Innenminister als wichtigen Zeugen zu stilisieren war keine taktische Übung der Opposition – möglicherweise sind die Vorgänge in Schilys Haus der spannendste Teil des Ausschusses, der den Visamissbrauch aufklären soll. Das Verfassungs- und Sicherheitsministerium von eigenen Gnaden ist doppelt in den Skandal verwickelt. Es hat einerseits 1999 auf rätselhafte Weise an der Visapolitik mitgestrickt. Andererseits haben seine Sicherheitsdienste, allen voran Bundeskriminalamt und Grenzschutz, schnell und scharf die Visaerleichterungen kritisiert.

Völlig unwägbar freilich ist Otto der Große, Otto der Unbelehrbare. Schily ist geradezu begierig darauf, die Visageschichten aus seiner Sicht darzustellen. Umfassend, detailreich – und verletzend. Es gibt keinen Grund mehr, auf seinen mit ihm in Hassliebe verbandelten Kabinettskollegen, den Grünen Joschka Fischer, Rücksicht zu nehmen. Was der Außenminister in seinem Amt geschehen ließ, hat den Innenminister, der sich als wichtigster Mann im Kabinett Schröder sieht, schon im Jahr 2000 auf die Palme gebracht. Nun aber sind alle Leinen los. Das rot-grüne Regierungsschiff schlingert auf die Klippen des 18. September zu. Und Karlsruhe hat gerade die Kanone Schily losgebunden, die nun unvertäut über Deck rollt.

Die Visauntersuchung war bislang außergewöhnlich: weil der Außenminister gravierende Fehler eingestand. Weil es erstmals Liveübertragungen gab. Weil die unerhörten Vorwürfe der Opposition vom hunderttausendfachen Visamissbrauch auf Normalmaß reduziert wurden. Jetzt könnte der Ausschuss richtig spektakulär werden – weil er Rot-Grün ruiniert. CHRISTIAN FÜLLER