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Archiv-Artikel

Arbeit am Klang der Erinnerung

THEATER KÖLN Die Regisseurin Katie Mitchell ist eine Meisterin der akustischen Illusion. Damit bearbeitet sie „Die Ringe des Saturn“, eine düstere Reiseerzählung von W. G. Sebald

Der Tonfall der Stimmen korrespondiert perfekt mit den pessimistischen Betrachtungen des Erzählers

VON ALEXANDER HAAS

Es ist schon ein Wagnis, einen Prosatext des 2001 verstorbenen Schriftstellers W. G. Sebald auf die Bühne zu bringen. Die Regisseurin Katie Mitchell geht es jetzt ein mit dessen Buch „Die Ringe des Saturn“, „eine englische Wallfahrt“ untertitelt, in der Halle Kalk des Kölner Schauspiels. Dieser eigenwillige Reisebericht ist zwar nicht allzu lang, und auch erzähltechnisch ist er nicht komplex. Ein autobiografisch gemünztes Ich erinnert sich während eines Krankenhausaufenthaltes an seine etwa ein Jahr zurückliegende mehrtägige Wanderung durch die englische Grafschaft Suffolk im August 1992. Der Erzähler hatte sie unternommen, um sich von einem anstrengenden Arbeitsprojekt zu regenerieren.

Die Schwierigkeiten des Textes für die Bühne liegen vielmehr darin, dass diese Meditationen über eine immense Sogwirkung verfügen. Und sie gehen einzig von jenem Ich aus, kreisen beharrlich um das von ihm Gedachte und Erlebte. Es gibt so gut wie keine Figur, mit der der Erzähler in Dialog träte. Alles lebt von der monologischen Kraft und Virtuosität der Sebald’schen Sprache, die Susan Sontag sehr treffend charakterisiert hat: Sie wirke „ebenso fremd wie überzeugend“, besonders „ihr feierlicher Ernst, ihre Geschmeidigkeit, ihre Präzision“. Sebald, der Literatur an der Universität in Norwich lehrte, hat erklärt, „Die Ringe des Saturn“ seien stark von der Literatur des 17. Jahrhunderts infiltriert: Thomas Browne, Grimmelshausen, John Aubrey.

Katie Mitchell, als Engländerin vertraut mit dem Ort des Geschehens, begegnet dem Text mit der Cut-up-Methode, mit der die sie im deutschsprachigen Theaterraum bekannt und erfolgreich geworden ist. Mittel aus Video und Hörspiel dominieren bei ihr das Schauspiel. Diesmal sind es drei Schauspieler, die in erster Linie als Sprecher zu tun haben. Sie stehen vor Mikrofonen und lesen ihre Textpassagen im Wechsel, vorwiegend in einem eindringlichen betonungsarmen und gleichförmigen Klangmodus. Das Tempo steigern sie, wenn der Erzähler psychisch in Bedrängnis gerät. Der Tonfall und Rhythmus dieser Stimmen korrespondiert perfekt mit den dunklen und äußerst pessimistischen Betrachtungen des Erzählers, die angeregt sind von der zivilisatorischen, historisch bedingten Zerstörung, die er um sich herum immer wieder erkennen muss.

Doch die Schauspieler sprechen bei Mitchell eben nicht nur, sie agieren auf offener Szene auch als Geräuschemacher. Wenn das Sebald-Ich anlässlich eines Ausstiegs an einer kleinen Zughaltestelle darüber nachsinnt, mit welchem Leben dieser Ort früher, als er noch einen Bahnhof hatte, erfüllt gewesen sein muss, dann stellen die Spieler das Geräusch eines einfahrenden Zuges her, indem einer mit einer ledernen Aktentasche auf den Tisch pocht und ein anderer sanft gegen die Wand einer Blechkiste schlägt. Das Pferdehufgeklapper der beschriebenen Szene besorgen sie von Hand mit Tritthölzern. Die Hintergrundatmosphäre des Bahnhofs erzeugen sie durch bauschende Bewegungen von Stofffetzen nah an den Mikros. Parallel projiziert Mitchell an der Bühnenhinterwand alte Filme, die die historische Bahnhofsbetriebsamkeit illustrieren; ein Soundkünstler liefert am Bühnenrand weitere Atmosphären.

Mitchell erklärt ihre Inszenierungsweise damit, dass sie nach einer Theatersprache suche, die sie so nah wie möglich an die tatsächliche Funktionsweise unserer Wahrnehmung heranführe. Zunächst schafft sie jedenfalls Distanz zu dem, was der Erzähler uns berichtet, zwingt uns, das Gehörte abzugleichen mit der Herstellung der Geräusche, die wir optisch und akustisch verfolgen. Dazu kommen die Videobilder. Wahrnehmung, darauf beharrt Mitchell ganz undramatisch, ist eben ein komplexes Geschäft.

Doch trotz des handwerklichen Aufwands hat diese Inszenierung immer wieder damit zu kämpfen, dass der unglaublich starke Text Sebalds einen Großteil des Zuschauerinteresses absorbiert. Immer wieder gelingen dem Erzähler gespenstische Szenen, wenn er Gegenwart und Geschichte ebenso assoziativ wie unaufdringlich gelehrt verknüpft und zu düsteren Spekulationen und Schlüssen über den Lauf der Welt ausweitet.

Die Folge ist, dass alles restliche Bühnengeschehen zur bloßen Illustration dieser tiefschürfenden Meditationen verkommt. Bedingt hilft dagegen der Kniff, dass Mitchell den Erzähler zusätzlich mit einem Schauspieler besetzt (Juro Mikus), der im Bühnenhintergrund stumm in seinem Krankenhausbett liegt. Er wird live gefilmt, Nahaufnahmen seines Gesichtes sind vorne im Wechsel mit den anderen Videos zu sehen. Die Nahaufnahme bringt uns auf Tuchfühlung mit dem Erzähler und Varianz in das, was wir erleben.

Auch wenn der Abend aufgrund der übermächtigen Vorlage nicht an die viel fokussiertere und ausbalanciertere Kölner Mitchell-Inszenierung von Franz Xaver Kroetz’ „Wunschkonzert“ heranreicht, so ist er trotzdem von großer Bannkraft. Das, was Mitchell vorführt, ist ebenso subtil wie perfekt getimet, choreografiert und ausgestattet.