Geschichte aus einem anderen Blick

AUSSTELLUNG „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ beleuchtet einen in Deutschland fast unbekannten Teil der Geschichte: die Opfer der Menschen in Afrika und Asien

Der Kölner Journalist Karl Rössel ist weit gereist. Er sprach mit Menschen in mehr als 30 Entwicklungsländern, um der Frage nachzugehen, was der Zweite Weltkrieg dort bedeutete. In der Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ in den Uferhallen in Wedding sind seit Dienstagabend seine Rechercheergebnisse zu sehen.

Eine zentrale Erkenntnis wird am Anfang der Schau so formuliert: „Die Dritte Welt stellte im Zweiten Weltkrieg mehr Soldaten als Europa und hatte mehr Kriegsopfer zu beklagen als Deutschland, Italien und Japan zusammen.“ Rössel legt Opferzahlen vor, die schwer zu belegen sind, da etwa Frankreich die afrikanischen Opfer zu den eigenen Toten hinzuzählte. Die Dimension lässt sich dennoch erahnen: Für Großbritannien kämpften 11 Millionen Soldaten, davon 5 Millionen aus Kolonien.

In Deutschland spiele dieser Teil der Geschichte kaum eine Rolle, so Rössel bei der Eröffnung. Daher richte sich sein Werk an die weiße Mehrheitsgesellschaft, die die Geschichtsschreibung in diesem Land betreibt. Diese Zielgruppe muss man im Auge haben, um etwa die Installation am Eingang zu verstehen: Ein Fernseher zeigt Porträts von afrikanischen und asiatischen Kämpfern. Darüber steht „Unsere Befreier“.

Trotzdem ist die Schau keine Aneinanderreihung von Heldengeschichten der „People of Colour“, wie es die Auftraggeberin Philippa Ebéné, die Leiterin der Werkstatt der Kulturen, erwartet hatte – und weshalb es zum Bruch zwischen ihr und Rössel kam (siehe Text oben). Am Ende der Ausstellung sind mehrere Tafeln den Nazi-Kollaborateuren gewidmet. „Im Nahen Osten sympathisierten nicht nur Teile der Bevölkerung, sondern auch höchste Regierungskreise mit Nazideutschland und dem faschistischen Italien“, heißt es. Stellvertretend steht die Geschichte von Hadj Amin el-Husseini, der als Führer der Araber in Palästina galt und eng mit der SS zusammenarbeitete.

Der inhaltlich und räumlich größte Teil der Ausstellung beschäftigt sich aber mit der Opferrolle der Dritten Welt. Mussolini etwa ließ 1935 eine 300.000-Mann-Armee in Äthiopien einfallen und alleine in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba 150.000 Menschen töten – von Soldaten, die zur Hälfte aus den italienischen Kolonien Libyien und Eritrea stammten. Diese Toten, so Rössel, wurden bislang von der deutschen Geschichtsschreibung weitgehend ignoriert. Auch dass puerto-ricanische Kämpfer am Rhein auf Nazi-Soldaten schossen, gehört nicht zu den bekannteren Kapiteln der Geschichte. „In deutschen Schulbüchern sind Opferzahlen von Deutschen, Russen, Amerikanern bis hin zu tausenden Dänen aufgelistet. Von Millionen Opfern aus der sogenannten Dritten Welt ist nicht die Rede“, so Rössel. Das könnte sich bald ändern: Der erste Verlag hat ihm versprochen, entsprechende Passagen in Schulbüchern zu überprüfen. SASCHA CHAIMOWICZ

■ Bis 30. September, weitere Infos: www.africavenir.org