: Die Stadt als Kunstwerk
NEW YORK Der High Line Park in Manhattan zeigt, wie eine gute Idee Formen annimmt. Aus einer brachliegenden Hochbahntrasse wurde eine Fläche für alle
■ Schlachterviertel: Der High Line Park liegt im Meatpacking District, Manhattan, New York. Die Hochbahn auf Stelzen wurde 1934 eingeweiht, 1980 fuhr der letzte Güterzug – mit drei Wagenladungen gefrorener Truthähne. ■ Grünstreifen: Die Gleise wurden belassen, dazwischen wachsen jetzt Sträucher und Bäume. Das rund 170 Millionen Dollar teure Bauprojekt (Architekten: Diller + Scofidio, Design: Diane von Furstenberg) soll 2011 fertig sein. ■ Erholung: Der Park hat täglich von 7 Uhr bis 22 Uhr geöffnet. Fahrräder, Hunde und Skateboards müssen draußen bleiben. Infos: www.thehighline.org
VON JAN FEDDERSEN
Es stand ja schon im Frühjahr in der New York Times zu lesen: Dass da in einem Viertel, das zwar in Manhattan liegt, aber doch seiner einst stinkenden und schmutzigen Kleingewerbe wegen nie von anderen denn Arbeitenden besucht wurde, ein Park gebaut würde. Im Juni 2009 würde er eröffnet. Eine Flanierflächen, die nicht dem felsigen Untergrund der Stadt abgerungen wurde, sondern den eisernen Trassen eines stillgelegten Abschnitts der Metro. Die High Line ist etwa 21 Kilometer lang und wurde Anfang der Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts erbaut. Man brauchte dringend eine Verkehrslinie, um die Transportwünsche der dort am schmutzigen südwestlichen Rand Manhattans ansässigen Kleinindustrie zu bedienen.
Zwei Jahrzehnte später war es mit ihr im Grunde schon wieder vorbei, die Hochbahn hatte keinen Zweck mehr und rottete vor sich hin. 1991 wurde ein kleiner Abschnitt verschrottet – es fehlte lediglich am Finanziellen für die weitere Beseitigung der stählernen Konstruktion. An eine ästhetische Rekultivierung des, wie man aus heutiger Sicht sagen könnte, Metropolenmöbels dachte niemand.
Dass aus der nichtsnutzigen High Line schließlich ein Park wurde, fein, aber trotzdem von allen Schichten und Menschenschlägen genutzt, lag an einer Bürgerinitiative, die sich 1999 gründete, sich „Friends of the High Line“ nannte, sich aus Galeristen, Architekten, Designern, ökobewussten Anwohnern, Händlern und Stadtplanern rekrutierte und jede Menge Erfahrung und beinah missionarischen Ehrgeiz ins Spiel brachte. Und zwar für ein Projekt, das Kritiker von Elendsviertelmodernisierungen gern als unliebsame Gentrifikation missbilligen, im Falle der High Line aber segensreicherweise zu einem nichtkommerziell gesinnten, architektonisch überaus feinsinnigen und großzügigen Stück Manhattanschmuck entwickelt hat.
Die Stadt New York stimmte sogar zu, schoss zur Rekultivierung ein knappes Drittel der insgesamt 170 Millionen US-Dollar zu, die die Einrichtung des Parks schließlich gekostet hatte. Aber noch ein Umstand war für die Realisation des Projekts enorm wichtig – dass das Viertel, leicht abseits des inzwischen etwas abgeschabt wirkenden Greenwich Village und auf alle Fälle mitten in den ruinierten Gewerbegebieten, durch die Zero-Tolerance-Politik des inzwischen nicht mehr amtierenden Rudolph Guiliani ziemlich befriedet wurde. Crack war die moderne Pest der Stadt, Dealer und Konsumenten aber haben in ihr kein ruhiges Forum mehr. Manhattan ist im Vergleich zu früher sicher geworden, die U-Bahn-Fahrten, die Spaziergänge – und auch das Quartier, durch das die High Line sich mäandert. Nachts ist der Park schön beleuchtet, man kann ihn besuchen auch bei Dunkelheit, er droht keine Börse des Alltagskriminellen zu werden.
Die Schönheit des High Line Parks nimmt unmittelbar ein. Die metallenen Stelzen sind so renoviert, dass sie etwas von ihrer Industrieaura bewahrt zu haben scheinen. Die Trassen, zehn Meter über der Straße, sind nicht überall aus dem Laufsteg gelöst worden. Der Weg, der im Süden nach einem Treppenaufstieg – Rollstuhlfahrer haben einen eigenen Fahrstuhlaufgang – an der Gansevoort Street beginnt, ist von kostbaren Pflanzen gesäumt.
Leider sind manche der Feinbetonrippen so angeordnet, dass man, weil man an einen planen Untergrund glaubt, dauernd zu stolpern droht. Dafür sind die geschmackvollen Liegebänke einladend; und es sind hinreichend viele vorhanden, um nicht enttäuscht zu werden, dortselbst nicht wenigstens fünf Minuten himmelschauend sinniert zu haben. Auch das Vorurteil, in New York City sei alles irgendwie mit dem Tausch von Geld verbunden, geht fehl im High Line Park. Nach der Hälfte der etwa zweieinhalb Kilometer langen Trasse verläuft der Weg durch den unteren Bauch eines nicht mehr genutzten Hochhauses, darunter sind Stühle und Tische gruppiert. Man erwartet auf Anhieb, kehrte man dort ein, wäre dies nur mit einer tüchtig teuren Bestellung von Kaffee, Sandwiches oder fair gehandelten Limonaden möglich. Weit gefehlt: Man kann dort sitzen, den Regenschauer trocken abwarten – und hat nichts zu trinken, weil man es nicht mitgebracht hat. Und schaut lieber den gärtnernden Menschen zu, die die Parkverwaltung engagiert hat, sich um die tropischen, doch auf alle Fälle frostfesten Rabatten zu kümmern. Und wie sie das tun: als seien sie Kosmetiker, die mit Nagelscheren das Bild arrangierter Wildnis zu bewahren suchen – und das in einem Bewegungsmodus fast meditativer Stille. Dieser Park verströmt irgendwie die Mahnung, sich nicht grölend zu verhalten.
Der Höhepunkt des Ensembles ist aber der Knick, der die Trasse von der sechsspurigen Tenth Avenue in die Häuserzeilen lenkt. In dieser Biegung ist ein kleines unbedachtes Theater gebaut worden, auf dessen Plätzen man durch eine fette Sicherheitsglasscheibe auf die Straße schaut, den Verkehr, den drei Stockwerke tiefer gehenden Menschen zu. Durch die Scheibe ein Blick wie auf eine tief gelegte Bühne – und dort die Stadt die Hauptrolle spielt, dauernd, rund um die Uhr, immer anders, nie gleich. Es ist fast ein Nebenzimmer des Parks, eine Geste, die sagen möchte: Was du siehst, das ist die Metropole in einem Ausschnitt, das ist Kunst überhaupt. Es stellt sich der gleiche Effekt ein wie beim Blick auf das Meer: beruhigend, dass alles verläuft, dass dieses Stück nie endet.
Dieser High Line Park, gewonnen aus einer Ruine, ist wahrscheinlich in drei Jahren endgültig fertig und ein Vorbild an Restauration dessen, was als Müll einfach sonst so in der Stadt stehen gelassen wird.