Sieg über Heines-Klinik

Vera Stein, Psychiatrie-Opfer der 70er Jahre, hat vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekommen: Deutschland muss ihr für ihren Zwangsaufenthalt in der Klinik Dr. Heines eine Entschädigung zahlen

Bremen taz ■ Vera Stein hat gewonnen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat jetzt entschieden, dass die Bundesrepublik der Frau, die in Wahrheit anders heißt und in den 70er Jahren in der Bremer Klinik Dr. Heines gegen ihren Willen festgehalten wurde (siehe Kasten), eine Entschädigung zahlen muss: 75.000 Euro sowie die Prozesskosten von rund 18.000 Euro. Damit findet Vera Steins Reise durch die juristischen Instanzen der Republik ihr vorläufiges Ende. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Beide Seiten können binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen.

Was Vera Stein nicht nur in Bremen, sondern auch in anderen Kliniken geschah (siehe Kasten), hat die Gerichte seit knapp zehn Jahren beschäftigt. Vera Stein hat alle Kliniken verklagt. Weil sie gegen ihren Willen dort gewesen sei und weil sie dort Medikamente bekommen hat, die bei ihrer Vorerkrankung Kinderlähmung nicht hätte bekommen dürfen. In Bremen bestätigte ihr zuerst das Landgericht, dass sie in der Privatklinik Dr. Heines widerrechtlich festgehalten wurde, das Oberlandesgericht hatte das Urteil dann kassiert – auch weil der Gerichtsgutachter im Hinblick auf die hohen Medikamentendosen erklärte hatte: Psychiatrie in den 70ern „war halt so“.

Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht haben ihre Beschwerden abgewiesen – die Ausschöpfung aller Instanzen im Heimatland aber war die Voraussetzung, dass Vera Stein mit Hilfe ihres Bielefelder Anwalts Georg Rixe vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen konnte. Ihrer ist der erste Fall in Sachen Psychiatrie in Deutschland, den die Straßburger Richter zur Entscheidung annahmen.

Sie geben Vera Stein nun nicht in allen Punkten Recht, aber im wichtigsten: Mit ihrem Zwangsaufenthalt in der Klinik Dr. Heines von 1977 bis 1979 sei gegen das in der EU-Menschenrechtskonvention verbürgte Recht auf Freiheit und Recht auf Privatssphäre verstoßen worden. Und obwohl es sich bei Heines um eine Privatklinik handelt, sei der Staat in vielfältiger Weise in Steins Schicksal „aktiv involviert“ gewesen: vor allem in dem Moment, als Polizisten die geflohene junge Frau vom Bremer Bahnhof in Handschellen zurück zur Klinik nach Oberneuland brachten. Der Staat hätte Vera Stein gegen Freiheitsverstöße durch Private schützen müssen, so das Gericht weiter. Die medizinische Behandlung, die gegen ihren Willen vorgenommen wurde, habe gegen das Recht auf Privatleben verstoßen. Auch hier hätte der Staat seine Bürgerin schützen müssen.

Vera Stein, zu hundert Prozent schwerbehindert, hat den Kampf um ihr Recht in den Mittelpunkt ihres Lebens gerückt. „Das würde mir das Leben erleichtern“, hatte sie vor dem Urteil über einen möglichen für sie positiven Ausgang erklärt, „aber das Unrecht bleibt“. Gestern dann klang sie recht still, auch erschöpft von den zahlreichen Fernsehteams, die am Morgen ihre kleine Wohnung im Hessischen gestürmt hatten. „Ich bin so froh“, sagte Vera Stein gestern. Aber so wie sie das sagte, hat sie nicht einen Moment an diesem Ende gezweifelt. Susanne Gieffers