: Jubel für den heimgekehrten „Hurensohn“
Der Auftritt der legendären exjugoslawischen Rockgruppe „Bijelo Dugme“ löst in Sarajevo heftige Diskussionen aus
SARAJEVO taz ■ Es kam doch alles ganz anders, als von vielen befürchtet. Trotz Bombendrohungen im Vorfeld des Konzerts der exjugoslawischen Kultgruppe „Bijelo Dugme“ (Weißer Knopf) strömten die Menschen am Mittwochabend ins Kosevo-Stadion. 65.000 Zuhörer jubelten den Musikern zu, die das erste Mal seit Ausbruch des Krieges 1992 in alter Besetzung auftraten.
Die von Goran Bregovic noch in den Siebziger- und Achtzigerjahren komponierten Lieder und die anspruchsvollen Texte erinnerten die Menschen an die alte Zeit, als die Stadt aufbrach, die Musikhauptstadt des Balkans und kultureller Mittelpunkt zu werden. Überwältigt von dem Gefühl, endlich in „seiner“ Stadt wieder zu singen und bejubelt zu werden, gelang es dem Sänger Zeljko Bebek nicht, auf offener Bühne seine Tränen zu unterdrücken. Tagelang beherrschte eine emotionsgeladene Diskussion die Stadt.
Im Zentrum der Kritik stand Goran Bregovic, der nach der Auflösung von „Bijelo Dugme“ die Musik für alle Filme des aus Sarajevo stammenden Filmemachers Emir Kusturica komponiert hat. Auch Mitglieder der Band tragen dem aus einer serbisch-kroatischen Familie stammenden und mit einer Muslimin verheirateten Bregovic nach, dass er während des Krieges in Bosnien nie offen Position für das belagerte Sarajevo eingenommen hat. Ja, dass er zusammen mit Kusturica damals sogar einen Film in Belgrad drehte, der von der jugoslawischen Armee mitfinanziert worden ist, die zur gleichen Zeit hunderttausende von Granaten auf die Stadt abgeschossen hat. In einem Interview mit der Wochenzeitung Dani versuchte Bregovic, sich zu rechtfertigen. Er habe beim Ausbruch des Krieges in Paris gelebt, wo er eine Wohnung besitze, er habe dort ohnmächtig alle Nachrichten verfolgt und gehofft, dass es seiner in Sarajevo vom Krieg überraschten Frau gelingen würde, zu fliehen. Er habe mehrmals daran gedacht, über den Berg Igman und durch den Tunnel unter dem Flughafen in die Stadt zurückzukehren, doch sich dann anders entschieden. Wäre es wirklich sinnvoller gewesen, täglich in der Wasserschlange zu stehen und frierend dem Bombenhagel ausgesetzt zu sein, statt zu versuchen, seine Gefühle in der Musik auszudrücken? Er sei Musiker, sagte er in dem Interview.
Doch seine Antwort auf die Frage, warum er nicht wie andere wenigstens Solidaritätskonzerte gegeben habe, so wie dann später während des Kosovokrieges für das von der Nato bombardierte Belgrad, blieb vage. Das damalige Konzert wäre allen Menschen, die gelitten haben, gewidmet gewesen. Bregovic gab zu, er habe nicht für den damaligen bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović Partei ergreifen wollen: „Fuck Alija!“
Alija sei nicht wichtig, kommentierte Dani, aber Bregovic habe nicht für seine Freunde, sein Sarajevo eintreten wollen. Viele Menschen überlegten, ob sie das Konzert überhaupt besuchen sollten. Doch dann waren plötzlich alle da, die kritischen Intellektuellen, die Kulturszene und die treuen Fans der Band. Bei der Begrüßung blieb das Publikum zwar noch reserviert. Doch als die ersten Rhythmen erklangen, war der Konflikt vergessen. Jeder kennt die Texte auswendig, alle sangen mit. Sarajevo schwelgte in der Vergangenheit. Und genoss die Synthese von Romamusik und modernen Rhythmen, die Bregovic weit über den Balkan hinaus berühmt gemacht haben. „Bregovic ist ein Hurensohn“, schrieb die Wochenzeitung Slobodna Bosna, „aber unser Hurensohn.“ Das war ein Kompliment. Bregovic kann sich wieder in Sarajevo sehen lassen.
ERICH RATHFELDER