: Jamaikas Gartenparty
UNABHÄNGIGKEIT Die Karibikinsel feiert das Ende der britischen Kolonialherrschaft vor 50 Jahren mit wenig Geld und Kultstar Bob Marley
■ Anreise: Direkt von Deutschland aus derzeit nur mit Condor (Frankfurt), mittwochs nach Montego Bay. Wer nach Kingston fliegen will, muss in London oder den USA umsteigen. Air Jamaica, seit Mai 2011 Teil von Caribbean Air, fliegt nur noch vier US-Flughäfen und die Bahamas an.
■ Reiseinformationen: Jamaica Tourist Board www.visitjamaica.com/german/getting-around.html, deutschsprachiges Kontakt- und Infoforum: www.jamaika-info.de
■ Reiseliteratur: Annette Kühnel: „Patois für Jamaika – Wort für Wort: Kauderwelsch, Patois für Jamaikareisende“. Reise Know-How-Verlag, Bielefeld 2009. Peter Paul Zahl, deutscher Altanarchist, jamaikanischer Staatsbürger seit 1995, schrieb u. a. sechs Jamaika-Krimis mit dem farbigen Detektiv Aubrey „Ruffneck“ Fraser. 14 Folgen waren geplant, für jedes Parish (Verwaltungsbezirk) einer. Außerdem: „Jamaika“, Beck’sche Reihe 2002. Kenntnisreiche, launige Länderkunde inklusive Reggae-Diskografie.
■ Bob Marley: Die Filmbiografie des Musikers läuft jetzt in deutschen Kinos. Zeitgleich erscheint ein Doppelalbum mit einer Auswahl von zwei Dutzend Hits.
VON STEFAN RAMBOW
Trotz der Bemühungen um ein lupenreines Image liefert Jamaika gemischte Schlagzeilen: Gewalt, Armut und Homophobie sind an der Tagesordnung. Vor allem die ausgeartete Militäroperation in Kingstons Armenviertel vor zwei Jahren erregte weltweit Aufsehen. Damals starben mindestens 73 Menschen bei der Jagd auf Drogenbaron Christopher „Dudus“ Coke, der mittlerweile in den USA vor Gericht steht. Aufgrund öffentlichen Drucks trat Premierminister Bruce Golding von der konservativen Jamaica Labour Party (JLP) vorzeitig zurück. Die Neuwahlen am 29. Dezember 2011 verlor seine Partei an die ursprünglich eher links stehende People’s National Party (PNP).
Der Maler Barrington Watson
In dem drei mal sechs Meter messenden Gesellschaftsporträt „The Garden Party“ von Jamaikas bekanntestem Maler Barrington Watson versammelt sich Jamaika sinnbildlich unter einem ausladenden karibischen Poinciana-Baum. „Die siebziger Jahre waren politisch vom demokratischen Sozialismus Michael Manleys geprägt“, so die am Edna Manley College in Kingston tätige deutsche Kunsthistorikerin Claudia Hucke. „Viele Jamaikaner fürchteten, ihr Land könne zu einem zweiten Kuba werden. Wohlhabende und gut ausgebildete Bürger verließen, wie am linken Bildrand angedeutet, ihre Heimat.“ Rechts findet ein Boxkampf zwischen Manley, PNP-Ministerpräsident von 1972 bis 1980, und dem damaligen Oppositionsführer Edward Seaga (JLP) statt – Sinnbild für gewalttätige Wahlscharmützel, die Mitte der siebziger Jahre zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führten. Bob Marley versuchte, während des denkwürdigen „One Love Peace“-Konzerts 1976 zu schlichten, als er die Rivalen auf die Bühne bat. In der Bildmitte von Gartenparty ist auch eine Gruppe von Rastafari zu sehen. Marley hat sie hoffähig gemacht.
Menschen im Warten vereint
Rastas tauchen im 14 Jahre zuvor entstandenen Bild von Barrington Watson „Out of Many, One People“ noch nicht auf. Das nach dem Nationalslogan betitelte Bild des Malers zeigt eine Bushaltestelle: Menschen mit afrokaribischem, europäischem und asiatischem Background, sozial und ethnisch unterschiedlich, im Warten vereint. Das Werk entstand im Jahr der Unabhängigkeit Jamaikas. Ausgerechnet in Berlin ging das Symbol des Aufbruchs „Out of Many, One People“ nach einer Ausstellung verloren.
Im Nationalstadion von Kingston, wo heute Leichtathletikweltstar Usain Bolt Trainingsrunden dreht, wurde am 6. August 1962 der britische Union Jack eingeholt und die schwarz-grün-goldene Flagge des unabhängigen Jamaika gehisst. Groß war der Optimismus, dass man nach der Kolonialherrschaft in eine vielversprechende Zukunft aufbrechen würde.
Jetzt, fünfzig Jahre nach der Unabhängigkeit, soll das Jubiläum gebührend begangen werden. Doch was ist aus den Hoffnungen geworden? Was gibt es zu feiern? Und wer bezahlt die Party? Im April 2012, nach gerade vier Monaten im Amt, musste die neue Kulturministerin, die ehemalige Miss World Lisa Hanna, eine drastische Kürzung des Budgets für die geplanten Feierlichkeiten bekannt geben. Nur noch ein Viertel des von der Vorgängerregierung veranschlagten Betrags blieb übrig, nämlich etwa 8 Millionen US-Dollar. Ein erstes Highlight ohne Kosten für Staatskasse und Besucher lieferte die jamaikanische Premiere der „Marley“-Dokumentation im Emancipation Park von Kingston. Kevin Macdonalds zweistündige Hommage an die Reggae-Ikone wurde von Tausenden gebannt verfolgt. Unter ihnen Ganja rauchende Rastafari mit Obrigkeitsallergie, die gegen das Betreten des in ihren Farben Rot, Gold und Grün gehaltenen Premierenteppichs antrommelten
Bob Marley nahm 1962 seine ersten beiden Singles auf. Wie kein Zweiter wurde der Rasta-Musiker seither weltweit zum Kulturbotschafter Jamaikas. Die wechselnden Regierungen der Insel versuchten sich seither an dem Balanceakt, die Popularität des Volkshelden für ihre Zwecke einzusetzen, ohne sich mit den für die Politik problematischen Aspekten von Marleys Philosophie gemein zu machen.
„Es besteht bei bestimmten Personen die Auffassung, Marihuanakonsum wäre in Jamaika legal. Dem ist nicht so!“, lässt sich die jamaikanische Botschafterin Joy Elfreda Wheeler aus der Vertretung in Berlin vernehmen.
Unabhängigkeitsfeiern in der Diaspora
Auch hierzulande soll „Jamaica 50“ gefeiert werden. Zwar leben im Vergleich zur englischsprachigen Diaspora nur wenige Jamaikaner in Deutschland, doch das Jamaican Tourist Board möchte mehr Deutsche für Golf- und Kreuzfahrtreisen auf der Insel begeistern. Auf das Jubiläumsprogramm wollte man im Januar dieses Jahres Wirtschaftsvertreter, Diplomaten und Touristiker im Veranstaltungsraum einer Bank einstimmen. Schon dort zeichnete sich zwischen verzerrten Aufnahmen der Unabhängigkeitszeremonie und zusammenkopierten Fotostellwänden ab, dass für ein Kulturprogramm kein Geld da ist. Die zahlreichen Auftritte jamaikanischer Musiker auf deutschen Festivals oder die „Marley“-Filmkampagne werden kaum mit dem Jubiläum verzahnt. Auch eine privat initiierte Kunstausstellung im Münchner Amerikahaus ab August steht finanziell auf wackeligen Füßen.
Abhängig von fremdem Geld
PREMIERMINISTERIN PORTIA SIMPSON-MILLER
Jamaikas Wirtschaft erholt sich nur langsam vom Staatsbankrott, den es vor zwei Jahren erklären musste. Angesichts einer Verschuldung von 146 Prozent des Bruttoinlandsprodukts schloss das Land ein Stand-by Agreement mit dem IWF ab. Doch trägt dies eher zu Jamaikas anhaltender wirtschaftlicher Stagnation bei: Schuldenabgleich und Zinszahlungen erdrücken wirtschaftliche Impulse. Auch sonst ist Jamaika von fremdem Geld abhängig. Franzosen und Chinesen finanzieren die Highways, charmefreie spanische Massenhotels vermehren sich, die EU subventioniert den Bananenanbau. Neben Bauxitexport und Überweisungen im Ausland lebender Jamaikaner ist der Tourismus die wesentliche Quelle für Deviseneinnahmen. In den ersten Monaten 2012 stiegen die Besucherzahlen um 20 Prozent, denn im neuen Riesenterminal von Falmouth im Norden der Insel haben nun auch die größten Kreuzfahrtschiffe Platz.
Wirtschaftlich und politisch ist das Commonwealth-Mitglied Jamaika bei Weitem nicht unabhängig. Ziggy Marley, Bobs ältester Sohn, sagt: „Wir haben immer noch den Generalgouverneur, den Repräsentanten der Queen, bei uns am Tisch. Das nennst du unabhängig?“
Eine wunderbare britische Lady
Ähnlich äußerte sich auch die neue Premierministerin Portia Simpson-Miller: „Ich liebe die Königin, eine wunderbare Lady, aber ich glaube, die Zeit ist reif für eine echte Republik.“ Das einfache Volk, zu großen Teilen mit kleinen Gefälligkeiten zur Wahlurne gelockt, interessiert derzeit eher eine funktionierende Wasserversorgung. Ob sich der Rest des Landes von der britischen Krone lösen möchte, ist nicht erst seit dem Besuch Prinz Harrys im April fraglich.
Der Prinz kam nicht wegen „Jamaika 50“, sondern aus Anlass des 60. Thronjubiläums der Queen. Und der schnellste Mann der Welt, der dreimalige Sprint-Olympiasieger Usain Bolt, ließ sich untertänig von Harry in einem inszenierten „Wettrennen“ schlagen.