: Mit Stolz und viel Mut gegen die Kälte
Das ganze Unglück begann mit einem Entschluss: Rachel Mwakazi-Holota aus Köln wollte mutig sein. Und unabhängig. Ein kleiner Laden sollte der Schlüssel sein für den Eintritt in ein neues Leben, unabhängig von Ämtern und Almosen. Jetzt fängt sie wieder bei Null an. Es war zu kalt. Im Laden und auf den Ämtern. Trotz Rückschläge brütet sie schon neue Ideen aus
Von CLAUDIA LEHNEN
Es ist gerade einmal so groß wie eine Wassermelone. Es hat die Farbe eines Kieselsteins. Aus dem Inneren glitzert ein bisschen Silberfolie. Rachel Mwakazi-Holota hat das Corpus Delicti mitgebracht: einen Heizlüfter, der symbolisch für all das steht, „was ich verloren habe“, wie die 33-Jährige sagt. Eigentlich hat sie alles verloren, bekräftigt die Kenianerin und macht ein Gesicht, dem man die Verbitterung ansieht.
Rachel Holota hat ihre Existenz verloren. Sie hat einen Traum begraben. Schuld daran tragen ihrer Meinung nach Mitarbeiter des Liegenschaftsamtes, die sich um ihre Belange nicht kümmerten. Vielleicht weil Holotas Hautfarbe dunkelbraun ist. Vielleicht weil jemandem ihre „karibischen Zöpfe“ nicht gefallen haben. Vielleicht weil der Sachbearbeiter schon von Anfang an keinen „Afro-Shop mit geschnitzten Souvenirs“ wollte, sondern ein „Geschäft mit Niveau“, wie Holota ihn zitiert. Karibische Zöpfe und Giraffen, das könne sie sich gleich abschminken, soll er schon bei ihrem ersten Treffen gesagt haben.
Das ganze Unglück begann damit, dass Rachel Holota sich entschloss, mutig zu sein. Eine ganze Kette matter Perlen war ihr Leben gewesen: Der Verlust des Zuhauses, eine unglückliche Ehe, zwei Kinder, die länger brauchten, um auf die Welt zu kommen, als die wenigen Monate der Versöhnung mit ihrem Mann anhielten, die Flucht ins Frauenhaus, der Gang zum Sozialamt. Eine ordentliche Portion Stolz und der Wunsch nach Unabhängigkeit flüsterten Holota schließlich ein, ein neues Leben zu beginnen. Holota mietete einen Laden in der Unterführung unter dem Kölner Ebertplatz. Sie eröffnete einen Afro-Shop, machte eine Aufnahmeprüfung als Friseurin und verhalf ihren Kundinnen zu unzähligen kleinen Zöpfen. „Es lief sehr gut. Ich hatte meine Stammkunden.“
Doch dann begann die Sache, in der der Heizlüfter eine entscheidende Rolle spielt. Rachel Mwakazi-Holota neigt den Kopf und lugt von der Seite auf den grauen Kasten. Sie muss sich noch einmal sammeln, bevor sie die Geschichte erzählt. Es ist eine Geschichte, in der viele Namen vorkommen, viele Schuldzuweisungen und viele umsonst gegangene Wege.
Als der kalte Herbstwind vor dreieinhalb Jahren durch die Passage fegte, beantragte Holota eine Heizung für den hinteren Ladenraum, den sie ebenfalls benutzen wollte. Das einzige, was prompt kam, war eine Mieterhöhung. 80 Euro, damals etwa 160 Mark, sollte Holota mehr zahlen, weil sie ja mit Heizung den hinteren Raum besser nutzen könnte. Nur kam die Heizung nicht. Es wurde Oktober, es wurde November. Es blieb kalt. „Ich habe immer angerufen. Ich konnte es den Kunden nicht mehr zumuten, die lange Behandlungszeit von bis zu 13 Stunden in der Kälte zu sitzen“, sagt Holota und ihre dunklen Augen werden ganz groß.
Irgendwann kam „das da“. Holota weist auf den Heizlüfter als handle es sich dabei um ein besonders ekelhaftes Tier. „Einer weißen Frau hätte man sich das nicht zu bringen getraut“, sagt Banu Bambal vom Kölner Antidiskriminierungsbüro „Öffentlichkeit gegen Gewalt“. 24 Quadratmeter misst der hintere Ladenraum, warm sei es nie geworden, wie Holota sagt. „Die haben gedacht, ich als Afrikanerin kenne mich nicht aus mit Heizungen.“ Das Antidiskriminierungsbüro der Stadt versucht zu beschwichtigen: „Hier sollte es sich sicher nur um eine Zwischenlösung handeln“, sagt die Leiterin Ina-Beate Fohlmeister. Für diese Zwischenlösung musste Holota zwei Jahre lang 80 Euro im Monat zahlen. Heizkörper wurden erst installiert, als bei einer weißen Nachbarin, die auszog, ein Heizkörper übrig blieb. Nur weil die Heizung dann schon einmal da war, wurde auch „die Negerin“ bedacht, wie Holota sagt. Die Miete hat sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bezahlen können. „Die Kunden blieben wegen der Kälte weg.“
Heute hat sie keinen Laden mehr, sie musste aus ihrer Wohnung ausziehen, sie steht vor einem 32.000 Euro hohen Schuldenberg. „Ich habe alles verloren.“ In Holotas Redefluss kehrt dieser Satz wieder und wieder wie ein trauriger Refrain.
„Frau Holotas Projekt ist gescheitert an behördlicher Sturheit“, sagt Banu Bambal vom Antidiskriminierungsbüro. Auch auf Ämtern gebe es Spielräume, die man zu Gunsten des Antragstellers auslegen könne. Zu Holotas Gunsten hat niemand entschieden. Den Vorwurf der Diskriminierung weist Axel Rostek, stellvertretender Leiter des Kölner Liegenschaftsamtes, zurück. „Frau Holota wurde behandelt wie jeder andere auch. Sie musste aus dem Laden raus, weil sie in Mietrückstand geriet. Natürlich gab es geringfügige technische Probleme“, gibt er immerhin zu.
Heute bekommt die Frau, die zur Unabhängigkeit entschlossen war, Arbeitslosengeld II. Trotz aller Rückschläge brütet sie hinter dem dichten dunklen Haar schon wieder neue Ideen aus. Einen Buchladen für christliche Literatur in einem halben Dutzend verschiedener Sprachen will sie eröffnen, die ersten Aufträge hat sie schon an Land gezogen. „Bis diese Sache passiert ist, dachte ich immer, die Leute übertreiben, wenn sie von Diskriminierung sprechen. Heute weiß ich, da ist eine Mauer, durch die ich einfach nicht durchkomme.“ Schon oft musste sie sich anhören, dass es für eine schwarze Frau nur zwei Alternativen gibt: „Heiraten oder Sozialhilfe. Etwas anderes steht mir scheinbar nicht zu.“ Ein Mann, der in den ganzen Fall verwickelt ist, dessen Namen sie aber nicht nennen möchte, habe ihr sogar ein Angebot gemacht: „Du brauchst Geld, ich brauche eine Frau. Heirate mich und du hast dein Problem los.“ Aber Rachel Mwakazi-Holota will nicht. „Diese Sache wird mich nicht früher ins Grab bringen“, sagt sie und lacht. Sie stützt die Hände auf den Heizlüfter und lächelt. Ein dem Anlass angemessener, trauriger Gesichtsausdruck will ihr nicht gelingen. Wenn sie lacht, klingt es, als würden ein paar Dutzend Töne einen Wasserfall hinunter stürzen.