berliner szenen: Das Wunder der grauen Katze
Eine Frau steht an der Ecke und schaut nach oben, nicht in den Himmel hinein, sondern auf die Fassade direkt vor ihr. In den Armen hält sie eine miauende Katze. Weil ich noch krank bin, wollte ich an diesem Tag nur auf dem Wochenmarkt am Herrfurthplatz Obst kaufen, ein paar Sonnenstrahlen auf dem Tempelhofer Feld mitnehmen und zurück ins Bett gehen. Aber dann sehe ich die Frau. „Das ist keine Anarchie, das ist Chaos“, ist auf Englisch auf ihrem Kapuzenpulli zu lesen. Sie erklärt mir, die graue Katze sei gerade vom Dach gefallen, sie wisse nicht, woher genau, sie habe nur den Aufprall gehört und das kleine Tier zu sich genommen. Es scheint unverletzt zu sein, doch steht unter Schock und möchte nicht auf dem Boden abgesetzt werden.
Ich schlage vor, überall zu klingen, irgendjemand wird die Katze schon vermissen. Sie findet das gut, sie spreche kein Deutsch, sie sei hier nur am Wochenende wegen der Transmediale. Immer wieder steigen wir Treppen hoch und runter. Kinder, ältere Menschen im Pyjama, Menschen mit Hunden, halb schlafende Nachbar*innen öffnen uns – mal nett, mal misstrauisch – ihre Türen, doch niemand kennt die Katze, niemand hat sie jemals zuvor im Haus gesehen.
Wir tauschen Handynummern aus und verabschieden uns – die Katze bleibt bei ihr. Ich lasse meine Kontaktdaten auch im Café, direkt da, wo die Katze gefunden wurde. Und so bekomme ich am Abend einen Anruf. „Ist Lilly bei Ihnen?“, fragt eine verzweifelte Stimme. „Ihr Name ist Lilly? Das passt zu ihr!“, antworte ich und berichte der Anruferin, wie das alles geschehen ist. Sie erzählt mir, dass, als sie aus dem Urlaub kam, Lilly nicht mehr da war. Am nächsten Tag schickt sie mir eine Nachricht, um sich wieder zu bedanken. „Das war ein Wunder“, schreibt sie. Über das Happy End freuen wir uns alle.
Luciana Ferrando
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