: Verständigung wird problematischer
Im ersten Migrantenbericht für Köln-Mülheim konstatieren die Autoren unter anderem Verschlechterungender Deutschkenntnisse von jungen Müttern und Kindern. Sie fordern mehr Engagement von Seiten der Politik
KÖLN taz ■ „Kein Deutschkurs mehr?“, fragt die junge Frau mit Kopftuch enttäuscht am Büroeingang des Interkulturellen Dienstes in Köln-Mülheim. Leiterin Ite Richter muss die türkische Mutter samt Kinderwagen wieder nach Hause schicken. Als Heiratsmigrantin zählt sie zu den so genannten Bestandsausländern, die vor dem 1. Januar 2005 nach Deutschland eingereist sind. „Noch im vergangenen Jahr hätten wir im Beisein einer Dolmetscherin sofort mit ihr ein Gespräch geführt und sie nach einer gewissen Wartezeit in einen Sprachkurs vor Ort vermitteln können“, sagt Richter.
Kein Wunder, dass der erstmals erschienene „Migrantenbericht für den Stadtteil Mülheim“ eine tendenzielle Verschlechterung der Deutschkenntnisse bei Kindern und jungen Müttern festgestellt hat. Im Auftrag der Bezirksvertretung Mülheim hat der Interkulturelle Dienst in den vergangenen Monaten Leiter von Flüchtlingswohnheimen und Bewohner der Keupstraße befragt. Das Resultat ist ein knapp 100 Seiten starkes Papier, das mit Daten und Fakten umfassend über die soziale sowie berufliche Integration der Migranten informiert. Heute wird der Migrantenbericht im VHS-Saal des Bezirksrathauses Mülheim offiziell vorgestellt. Als Mitverfasserin erläutert Richter den Zweck der Erhebung: „Der Bericht soll Handlungsfelder aufzeigen und Aufträge an die Politik geben.“
Ein solches Handlungsfeld sind die Deutschkurse. Der Gesetzgeber hat die bürokratischen Hürden seit Anfang des Jahres deutlich höher gelegt: Aufgrund des neuen Zuwanderungsgesetzes müssen die Ausländerämter jeden einzelnen Kurs genehmigen – eine ebenso umständliche wie langwierige Prozedur, wie Richter am Beispiel der jungen Türkin erklärt: „In diesem Fall erhält die junge Frau nach acht Wochen einen mehrseitigen und komplizierten Bescheid, den sie nicht versteht und ungelesen in den Papierkorb wirft.“ Als direkte Folge dieser neuen Gesetzgebung mussten die freien Träger im Bezirk ihre Deutschkurse aufgrund mangelnder Teilnehmerzahl einstellen. „Wir erreichen diese Menschen nicht mehr. Das ist eine Katastrophe“, bilanziert Richter.
Im Bezirk Mülheim liegt der Ausländeranteil mit 18,4 Prozent über dem städtischen Gesamtdurchschnitt. Viele Migranten verfügen laut Richter zwar über starke familiäre Netze, aber bislang über „wenig Know-how“. Der Anteil der Migrantenkinder im Stadtbezirk, die eine Schule für Lernbehinderte besuchen, ist laut Bericht doppelt so hoch wie bei den deutschen Schülern. Richter: „Viele dieser Kinder stammen aus bildungsfernen Schichten und erhalten zu Hause kaum Unterstützung.“
Ähnlich sieht die Situation von Minderjährigen in den Flüchtlingsheimen des Stadtbezirks aus. Zwar hat der Rat im Juli 2004 schrittweise Verbesserungen für Flüchtlinge beschlossen, aber noch sind diese Jugendlichen zumeist auf sich allein gestellt und erhalten keine Betreuung. „Die sprachliche Förderung der ausländischen Kinder muss unbedingt verbessert werden“, hat auch der Mülheimer Bezirksvorsteher Norbert Fuchs (SPD) erkannt. Ein erster Schritt ist das Pilotprojekt „Rucksack“ an den Grundschulen „Mülheimer Freiheit“ und „Alte Wipperfürther Straße“, bei dem türkische Mütter durch pädagogische Fachkräfte befähigt werden, ihre Kinder bei schulischen Aufgaben zu unterstützen. Das im Februar 2005 begonnene Projekt ist zunächst auf zwei Jahre befristet und wird aus „bezirksdienlichen“ Mitteln finanziert.
Der Migrantenbericht für Mülheim soll als Basis für solche Integrationsinitiativen dienen. „Es muss mehr Chancengleichheit für den Migrantennachwuchs entstehen. Da ist auch die Politik gefordert“, betont Richter.
BERND F. HOFFMANN