piwik no script img

Der Überlebende

Skirennfahrer wie Barnabas Szöllös nennt man Exoten. Der Israeli hat zum ersten Mal die berüchtigte Streif bezwungen. Er wurde zweimal Vorletzter

Mit Puls 192 über die Eispiste: Szöllös auf der Streif Foto: imago/NurPhoto

Aus Kitzbühel Thomas Purschke

Barnabas Szöllös ist ein Exot im alpinen Weltcup-Skizirkus. Er war am Samstag das erste Mal auf der Streif in Kitzbühel am Start. Und wurde Vorletzter. Der 24-jährige Student mit ungarischer und israelischer Staatsbürgerschaft, der in Budapest auf die Welt kam, aber in Österreich aufgewachsen ist, hat bereits mit zwei Jahren seine ersten Erfahrungen auf Skiern gemacht. Er hat einen skisportaffinen Vater namens Peter Szöllös. Der hat für Israel bei der alpinen Ski-WM 1993 in Morioka (Japan) teilgenommen und auch Weltcup-Erfahrungen gemacht.

Sein älterer Bruder Benjamin und seine jüngere Schwester Noa fahren auch Ski-Rennen. Weil er sich vom Ungarischen Skiverband 2017 nicht gut unterstützt gefühlt habe, wechselte er daraufhin zum Skiverband von Israel. Seinen bisher größten Erfolg erlebte Szöllös bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking, wo er in der Alpinen Kombination Sechster wurde. Damit egalisierte er als Wintersportler für Israel das bisher beste Ergebnis bei Olympia. Diesen Rang hatten 20 Jahre zuvor nur das israelische Eistanzpaar Sachnowski/Galit Chait geschafft.

Wie fühlt sich ein junger Skirennfahrer wie Barnabas Szöllös, wenn er auf die Streif geht? „Angst darf man nicht haben“, sagt er. „Mental muss man stark sein und natürlich vollste Konzentration auf die Strecke legen.“ Insgesamt viermal ist er nun in Kitzbühel bei den beiden Trainingsfahrten sowie den zwei Wettkampf-Abfahrten am Freitag und Samstag auf der legendären Strecke talwärts gerast. Jeder Rennfahrer, der die Streif gebändigt hat und heil ins Ziel gekommen ist, hat sich selbst beschenkt. Risikoabwägung ist für die Abfahrer überlebenswichtig. Vor allem, wenn sie auf der Streif erstmalig nach kurzer starker Beschleunigung ab dem Starthaus nach nur drei Fahrsekunden mit rund 90 Stundenkilometern in die berüchtigte „Mausefalle“ hineinspringen. Diese hat 85 Prozent Gefälle.

Am Freitag wurde Szöllös bei seiner ersten Weltcup-Abfahrt auf der Streif Vorletzter mit 5,97 Sekunden Rückstand auf den Sieger Vincent Kriechmayr aus Österreich, und am Samstag beim Sieg vom Norweger Aleksander Aamodt Kilde waren es 8,63 Sekunden Rückstand, was ebenfalls wieder den vorletzten Rang im Feld bedeutete. Insgesamt waren am Freitag 58 und am Samstag 56 Abfahrer am Start. Nur der Brite Roy-Alexander Steudle lag jeweils noch knapp hinter Szöllös. Aber was sind schon knapp sechs oder acht Sekunden Rückstand auf einer künstlich vereisten Rennpiste, die 3.312 Meter lang ist.

Barnabas Szöllös Foto: Th. Purschke

Eigentlich hatte sich Szöllös zunächst all die Jahre vorher hauptsächlich auf Slalom und Riesenslalom konzentriert. Aber die „Challenge Abfahrt“ reizte ihn ebenso, und so hat er es einfach ausprobiert. Bevor er im Ski-Weltcup im Dezember 2021 debütierte, musste er sich über FIS-Skirennen sowie Europa-Cupwettkämpfe in der Punkterangliste des Weltskiverbandes unter die besten 150 Athleten eingruppieren. Nur diesen Sportlern, erklärt der perfekt deutsch sprechende Athlet, „ist ein Weltcup-Start in der Abfahrt wie der Streif erlaubt“. Kein einziger noch so versierter Hobby-Skifahrer würde die hohen Fliehkräfte in den zum Teil stark abhängenden Kurven aushalten können und die weiten Sprünge auf dem Eispanzer überstehen.

Im Gegensatz zu den großen Skialpin-Nationen wie Österreich, Schweiz oder Norwegen hat Szöllös keine Armada von Videotechnikern, Skitechnikern, Wachsexperten, Physiotherapeuten dabei. Auf Analyse legt er trotzdem großen Wert. Auf der Streif hatte er deshalb seinen Pulsgurt wieder um seine Brust gespannt. Sein Maximalpuls betrug dabei 192 Herzschläge pro Minute. „So viel habe ich sonst nicht mal beim Ausdauertraining im Sommer, da liege ich kaum mal über dem Wert von 180.“ Adrenalin schüttet man jede Menge auf dieser Piste aus. „Jeder noch so kleine Fehler kann verheerende Konsequenzen haben.“ Beim Rennen am Freitag hatte es den Norweger Henrik Roea nur wenige Meter vor der Ziellinie erwischt. Er verschnitt seine Skier und stürzte schwer ins Zielareal. Diagnose: offener Unterschenkelbruch. „Davon darf man sich als junger Athlet nicht beeindrucken lassen, dies muss man ausblenden, so leid mir es für den Kollegen tut.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen