kritisch gesehen: steffen menschings roman „hausers ausflug“ bei der literatour-nord
: Robinsonade ohne Moral

Die Geschäftsidee ist so zynisch wie lukrativ: AIRDROP stellt Rückführungsboxen her, in denen abgewiesene Flüchtlinge in ihre Heimatländer geflogen und dann dort „abgesetzt“ werden. Dieser „Lieferservice“ ist David Hausers Idee. Politisch bestens vernetzt, verdient er gut daran, dass deutsche Behörden AIRDROP intensiv nutzen: „In Parchim starten jeden Tag zwei Maschinen.“

Das ist das Szenario von Steffen Menschings Roman „Hausers Ausflug“. Mensching steigt am Sonntag mit Lesungen in Oldenburg und Bremen in die Literatour-Nord-Reihe ein: Der Lese-Wanderzirkus hat Ende Oktober begonnen, die Au­to­r*in­nen gastieren nacheinander in sieben norddeutschen Städten. Ende Januar startet noch taz-Kolumnistin Fatma Aydemir mit ihren „Dschinns“ als fünfte und letzte Teilnehmerin in den Wettbewerb.

Mensching, Jahrgang 1958, hat seinen Roman im Oktober 2029 angesiedelt: Ab 2023 seien immer mehr Flüchtende nach Europa gekommen – so das Ausgangsszenario: „Viele Repatriierte würden die ungewöhnliche, aber sehr effektive Art der Rückführung sogar bevorzugen, behauptete Hauser vollmundig.“

„Hausers Ausflug“ beginnt damit, dass der AIRDROP-Geschäftsführer seinen Menschen-Lieferdienst am eigenen Leib erfährt. Festgeschnallt in einem Aluminiumkasten, landet er auf unbekanntem Gelände fern seiner Heimatstadt Berlin. Der Erfolgsmensch hat nicht nur seinen feinen Anzug und seine Patek-Philippe-Uhr verloren, sondern auch die Orientierung. Wer ihn betäubt und „verschickt“ hat, bleibt unklar, wenngleich Hauser unablässig grübelt, wer ihm das angetan haben könnte. Da ihm das eigene Leben am liebsten ist, beginnt er sofort, die gebirgige, unwirtliche Gegend zu erkunden und Hilfe zu suchen. Das Handy, das er bei sich findet, funktioniert nicht, der syrische Pass mit seinem Foto ist gefälscht.

Plötzlich taucht ein alter Mann auf, der Hauser zu einer Höhle führt. Obwohl er ihn dort fesselt, glaubt Hauser sich gerettet: „Hör zu, Hassan, hörte er sich sagen, oder wie du auch immer heißt, ich weiß nicht, was sie dir über mich erzählt haben, es ist mit Sicherheit nicht wahr, ich bin jedenfalls nicht dein Feind.“ Er glaube an keinen Gott, sondern allenfalls an den Lieferservice, Angebot und Nachfrage, das sei vielleicht sein Verhängnis: „Mein Vater ist Kommunist, ich wurde Konsumist, es klingt ähnlich, ist aber nicht das Gleiche.“ Im Verlauf ihrer Begegnung erfährt Hauser von der Migrationsgeschichte des alten Kurden, der lange in Deutschland gelebt hat, und wird im türkisch-irakischen Grenzgebiet, wo man ihn abgesetzt hat, Augenzeuge eines brutalen Gefechts.

Steffen Mensching auf Literatour: 15. 1., OL, Wilhelm 13, 11 Uhr, HB, Theater, 20 Uhr.Weitere Termine: 16. 1., Lübeck, 17. 1., Rostock, 18. 1., Lüneburg, 19. 1., Hannover, und 20. 1., Osnabrück

Menschings Roman zielt nicht auf eine moralische Verurteilung: Er zeigt stattdessen Hauser als gnadenlos pragmatischen Menschen, der unbedingt überleben will. Diese Robinsonade verstört durch den kaltblütigen Narzissmus des Geschäftsmanns, der sich als „Diener der Humanität“ sieht, durch seinen nackten Glauben an materielles Glück – vor allem aber durch den Gedanken, dass AIRDROP ein realistisches Zukunftsszenario sein könnte. Frauke Hamann