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Archiv-Artikel

Anmutiger Brocken

INDIE-ROCK Plötzlich melancholische Belesenheit: Ende der 1990er waren die kanadischen Weakerthans für die Hardcore-Szene ein schwerer Brocken. Jetzt kartiert deren Gitarrist und Sänger John K. Samson auf „Provincial“ solo die kanadische Provinz Manitoba

Ein schwerer Brocken waren Ende der 1990er The Weakerthans für viele Angehörige der Hardcore-Szene. Einige schluckten ihn gern, weil sie spontan hingerissen waren von dieser poetischen Mischung aus Politik, Teenage-Pop und akademisch rüberkommender Belesenheit. Welcher Rocker außer Dirk von Lowtzow bedankt sich schließlich schon für ein Buch des französischen Philosophen Derrida? Ihren Teil zur Verzückung trug auch John K. Samsons für das Genre ebenfalls völlig untypische Stimme bei, die sich lässig zwischen Neil Young’scher Quäkigkeit und unendlicher Weichheit einpendelte. Weil anderen der Brocken dann doch zu unbekömmlich schien, fanden die leicht melancholischen Kanadier fortan ihren festen Platz eher in Indie-Kreisen und haben gerade hierzulande, etwa im Dunstkreis der Bands des Grand Hotel van Cleef-Labels, sicher mehr als nur mikroskopische Spuren hinterlassen.

Jetzt hat „Kopf“ Samson die Pause der Hauptband genutzt, einen alten Faden wieder aufzunehmen und eine so genannte Solo-Platte veröffentlicht, die sich in die Liste der musikalischen Ethnographien zwischen Nebraska (Bruce Springsteen) und Rest der USA (Sufjan Stevens) einträgt. „Provincial“ kartiert einen Teil Kanadas, indem es einen spröde-liebevollen Blick auf die kanadische Provinz Manitoba wirft, deren Hauptstadt bereits bei den Weakerthans („I hate Winnipeg“) bekanntlich ihre spezielle Würdigung fand. Musikalisch weicht das Album, von dem etwa die Hälfte der Songs bereits in früheren Jahren veröffentlicht wurde, mehr graduell vom typischen Weakerthans-Sound ab. Nur allzu gut bekannt sind das außerordentlich clevere und einfache Songwriting und das Wissen um die richtigen Verbindungslinien zwischen Pop und Folk, die Samson hier in Zusammenarbeit mit einigen befreundeten Musikern in einer gegenüber der Band etwas gedimmten Form herstellt. In jedem Fall anzunehmen ist auch, dass Samson mit seiner einnehmenden Art der soliden Platte live noch etwas mehr Anmut einhauchen wird.  NILS SCHUHMACHER

■ Hamburg: So, 27. 5., 20 Uhr, Uebel & Gefährlich, Feldstraße 66; Hannover: Di, 29. 5., 29.5. Bei Chez Heinz; Bremen: Sa, 2.6., Lagerhaus