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Archiv-Artikel

Die Party der Schwiegereltern

AUS SAPPOROMARCO KAUFFMANN

Michiko Saito hat ihr Haar mit Spray gefestigt, sie nimmt ein Mikrofon und diktiert Zahlen. Stille im Saal. An vier langen Tischen sitzen sich jeweils 40 Personen gegenüber. Ein älteres Publikum, sonntäglich zurechtgemacht, den Blick konzentriert auf ein Liste gerichtet, als würde Lotto gespielt. Die Mütter und Väter, die sich an diesem Samstagvormittag im Gemeindezentrum von Sapporo versammeln, sehnen sich nach einem Treffer für ihr Kind: einer Braut oder einem Bräutigam. Alle tragen ein Nummernschild um den Hals, rosa oder hellblau. Rosa heißt, eine Tochter zu verheiraten, hellblau, einen Sohn. Rosa sitzt Blau gegenüber, von Tisch A bis Tisch E – je 80 Eltern mit Söhnen und 80 mit Töchtern.

Die Frau am Mikrofon diktiert Korrekturen. „C 50 ist nicht 37-jährig, sondern 38. A 165 hat noch einen jüngeren Bruder. Auf der Liste steht, A 104 habe die Ausbildung in Fußreflexzonen abgeschlossen, nun hat sie auch eine Anstellung gefunden.“ Die Listen, auf denen die Korrekturen eingetragen werden, sind das zentrale Instrument des Tages. Ausbildung, Beruf, Hobbys, Wohnort, charakterliche Stärken, Erwartungen an den Ehepartner, Wohnort des Kindes und der Eltern sind darauf verzeichnet. Dann die Blutgruppe, von der in Japan auf den Menschentyp geschlossen wird, und ob jemand bereits verheiratet war. Bisher wurde auch das Körpergewicht angegeben, diesmal fehlt es, ebenso wie Foto und Namen.

Es ist die einundzwanzigste Elternparty, die Michiko Saito organisiert hat. In Sapporo, der Hauptstadt der ländlichen Provinz Hokkaido, und in anderen Städten Japans brachte sie insgesamt 1.600 Eltern an einen Tisch. „Viele Eltern sind besorgt, wenn ihr Kind nicht verheiratet ist, sie möchten das vor ihrem Tod regeln“, sagt Saito, 61-jährig, mit schwarz gefärbtem Haar und festem Blick. Arrangierte Beziehungen seien nicht die wünschenswerteste Form der Bindung, aber „manche möchten heiraten, doch es gelingt ihnen nicht. Da können wir einspringen.“

„Willst du heiraten?“ – „Ja!“

Bevor sich die Eltern über mögliche Ehepartner für ihre Kinder unterhalten dürfen, spricht ein Vater um die 70, der es geschafft hat: Sein 43-jähriger Sohn heiratete vor wenigen Tagen. Es klappte trotz schwieriger Umstände. „Mein Sohn hat keinen Humor, und sein Äußeres ist nichts Besonderes“, erzählt der Vater. Und wenn der Filius mal eine Frau ausführte, bezahlte er für sich allein. Der Sohn sei über 30 gewesen und eine Beziehung nicht absehbar. Da beschloss der Vater, etwas zu unternehmen. „Ich fragte: Willst du heiraten?“ Der Sohn bejahte, und der Vater machte sich an die Arbeit, zunächst ohne Erfolg, bis er von Saitos Büro hörte, zwei Partys besuchte und die Unterlagen von 15 potenziellen Schwiegertöchtern nach Hause brachte.

Saito legt auf zwei Regeln Wert: „Die letzte Entscheidung über den Ehepartner müssen die Kinder fällen.“ Das bläut sie den Eltern auf jeder Veranstaltung ein. Zweitens: Die Eltern sollten den Kindern die Vermittlungspartys nicht verschweigen. Dennoch kommen einige ohne Wissen der Kinder, was auf der Liste besonders vermerkt ist.

Im Saal hat nun der Vertreter der „Vereinigung für die Förderung der Ehe“ das Wort. Er würdigt die Arbeit Saitos im Speziellen und die Institution Ehe im Allgemeinen. Am Tisch A, wo sich gemäß Tischordnung alte Eltern mit alten Kindern gegenübersitzen, hören einige schon gar nicht mehr zu: Sie sind in die Liste versunken, unterstreichen mit Bleistift, blättern vorwärts und zurück. Lupen sind im Einsatz.

Um 11 Uhr erklärt die Moderatorin die Heiratsbörse mit dem offiziellen Titel „Bande der Eltern – Bande der Kinder“ für eröffnet. A 3, Mutter eines 44-jährigen Sohns: Uni-Abschluss, arbeitsam, Blutgruppe 0, fischt und fährt Ski, Führerschein, schreitet zielstrebig auf A 109 zu, Mutter einer 39-jährigen Tochter: Ernährungsberaterin, Ausbildung in Kalligraphie, tolerant, Blutgruppe A. Nach kurzem Gespräch werden Fotos der Kinder ausgetauscht. A 3, sie trägt eine Bluse mit Blumenmotiv und einen wuchtigen Smaragdring am Mittelfinger, geht zurück an ihren Sitzplatz und konzentriert sich auf die Liste. Sie zögert kurz, stimmt dann aber einem Interview zu. Was sagt der Sohn zur mütterlichen Vermittlungstätigkeit? „Zuerst war er dagegen, ich musste ihm energisch zureden.“ Der Sohn arbeite in der Biotechbranche, jeden Abend bis halb elf, da bleibe wenig Zeit für Partnersuche. „Ich wünsche mir innig, dass er heiratet.“ Auf dem Foto, von dem sie 20 Stück in der Handtasche hat, ist ein Mann im Anzug zu sehen. Leidend lächelt er in die Kamera, sitzt mit geradem Rücken auf einem Sofa. Das Bild muss in einem Büro aufgenommen worden sein. Nach welchen Kriterien filtert die Mutter die Liste mit den 80 potenziellen Schwiegertöchtern? „Keine speziellen“, weicht A 3 aus, später sagt sie, aus Hokkaido sollte die Zukünftige sein. Dann bricht sie ab, sie hat zu tun.

Gemäß Programm sollten sich während den ersten 40 Minuten Eltern unterhalten, die am gleichen Tisch platziert wurden. Doch die Regel wird schon nach fünf Minuten nicht mehr beachtet. Mütter vom A-Tisch, mit Kindern zwischen 35 und 45, zieht es zum E-Tisch, wo die Eltern 25 bis 30-Jähriger platziert sind. Graue Plastikstühle werden zur Seite gestellt, um ungestört zu reden. Es geht wenig formell zu, ohne die rituellen Verbeugungen, die sonst in Japan üblich sind. Lebhafte Geschäftigkeit erfüllt den Saal mit Tischen aus Holzimitat und Nadelfilzteppich. Fotos wechseln die Hände. Töchter unter blühenden Kirschbäumen und tadellose Söhne am Arbeitsplatz.

Ein Todesfall war für Michiko Saito der Auslöser, diese Heiratsförderung zu beginnen. Im gleichen Krankenhaus, in dem Saito wegen Krebs vor sechs Jahren in Behandlung war, starb eine 40-jährige Frau. „Einsam, ohne Verwandte. Nur mit einer Freundin an ihrer Seite. Ich fand das sehr traurig“, sagt Saito. Die Ehe sei ein Vehikel, um Leben von einer Generation an die andere weiterzugeben. Nach einer Karriere in Banken, Schulen und der Verwaltung gründete Saito 2000 „Office An“ – ein Heiratsinstitut mit geschütztem Namen. Dennoch betrachtet sie ihre Tätigkeit nicht als Geschäft, sondern als Dienst an der Gemeinschaft. Die Teilnahmegebühr von 5.000 Yen (umgerechnet knapp 40 Euro), „das Mittagessen inbegriffen“, sei sehr bescheiden. Will Saito an die Tradition arrangierter Ehen anknüpfen, die früher in Japan verbreitet war? Sie hält beide Hände vor die Augen, denkt nach und sagt: „Ich schaffe nur einen Rahmen, in dem sich Eltern austauschen können.“

Schlangestehen bei B 34

Um 12 Uhr sind alle wieder auf ihren Plätzen. „O-bentos“ werden verteilt, handliche Kunstholzbehälter mit mundgerecht zubereiteten Häppchen, dazu Grüntee aus der Pet-Flasche, die japanische Form eines Picknicks. Danach geht es in die zweite Runde. Bei B 36 (Vater eines 37-jährigen Sohns: 170 Zentimeter, Beamter in der Stadtverwaltung, Bergsteiger) stehen die Interessenten Schlange. D 24 sind die Fotos ausgegangen, sie zeigt dafür das Familienalbum.

Verloren wirkt die Frau mit dem Schild A 101–103 Drei Zahlen um den Hals bedeuten drei unverheiratete Töchter. Und je näher die Zahl bei 100, desto älter sind sie. Mit Töchtern zwischen 34 und 46 Jahren hat sie einen äußerst schweren Stand, weil A 1 leer bleibt. Diesen Platz hätten die Eltern eines 46-Jährigen einnehmen sollen. Doch sie sind nicht erschienen. Eine halbe Stunde später wechseln die Modalitäten. Wer einen Sohn hat, soll sitzen bleiben – Damenwahl. So ziehen sich die Unterredungen weiter bis 3 Uhr.

Michiko Saito hat zweimal Folgeveranstaltungen organisiert, „Tea Parties“ für die zu verheiratenden Kinder. Aber eigentlich betrachtet sie ihre Mission nach den Elternpartys für beendet, sie will keine professionelle Agentur sein, die bei Heirat eine hohe Prämie kassiert. Sie führe daher keine Statistiken über die Erfolgsquote. „Wenn ich Katalysator sein kann, macht mich das sehr glücklich.“ Den Treffer zu landen, ist Sache der Kinder.