: „Schüchtern? Auf keinen Fall“
HEIMAT Mitslal Kifleyesus-Matschie über Rassismus und Weltoffenheit, Äthiopien und Thüringen und darüber, wie der SPD-Politiker Christoph Matschie sie mit Plastegeschirr beeindruckt hat
INTERVIEW ANJA MAIER FOTOS BIRGITTA KOWSKY
taz: Frau Kifleyesus-Matschie, am Wahlabend haben Millionen Fernsehzuschauer gesehen, wie Sie mit Ihrem Mann in Erfurt vor die Kameras getreten sind. Was meinen Sie, wie viele Menschen wussten, wer diese dunkelhäutige Frau an der Seite des SPD-Politikers Christoph Matschie ist?
Mitslal Kifleyesus-Matschie: In Thüringen wissen das natürlich viele. Aber bundesweit wohl wenige. Es würde mich schon interessieren, was die Leute vor den Fernsehern da gedacht haben. Interessanterweise wurde in den nächsten 24 Stunden 1.300-mal mein Blog angeklickt.
Es ist eben ungewöhnlich, dass ein deutscher Spitzenpolitiker eine ausländisch aussehende Frau hat.
Ich bin keine Ausländerin. Ich bin Deutsche, ich habe gewählt, und ich bin SPD-Mitglied. Die Leute werden sich daran gewöhnen, dass ich eine internationale Deutsche bin. Ich habe nicht einmal eine doppelte Staatsbürgerschaft, weil das leider nicht erlaubt ist.
Welchem Wahlergebnis haben Sie an diesem Abend mehr entgegengefiebert – dem der Thüringer SPD, deren Spitzenkandidat Ihr Mann war? Oder dem der NPD?
Zuerst habe ich natürlich für die SPD gezittert, ist doch klar. Aber ich habe die ganze Zeit nach der NPD geguckt. Das hat mich sehr bewegt. Christoph, mein Mann, hatte Stimmen dazugewonnen – gut, Punkt. Aber die NPD lag bei 4,3 Prozent. Da habe ich die Luft angehalten und permanent auf die Zahlen geguckt. Ich stand beim ZDF in der Kulisse, vorne wurde mein Mann interviewt. Und die Leute vom Fernsehen haben mich beruhigt: Frau Matschie, es ist okay, die sind nicht drin.
Es war lange nicht sicher, dass die Rassisten den Einzug in den Landtag verpassen.
Aber irgendwann war es sicher. Und das hat mich erleichtert. Später habe ich begriffen, dass sie mehr Thüringer als beim letzten Mal gewählt haben. Da wusste ich: Man muss diese Entwicklung sehr ernst nehmen. Das war diesmal knapp. Ich habe mich nie einschüchtern lassen, bin immer rausgegangen, habe mich immer gezeigt. Ich mag es nicht, wenn mir das jemand wegnehmen will.
Was wegnehmen?
Wenn mir jemand das Gefühl gibt, ich sei Ausländerin, nimmt er mir etwas. Spätestens nach dieser Wahl müssen alle Parteien sich gegen die Rechten stellen.
Sie sagen, alle Parteien. Vor dem Haus des CDU-Abgeordneten Zeca Schall in Hildburghausen standen am Abend vor der Wahl 70 Rechte.
Und wie viele Leute waren da, um ihm zu helfen?
Niemand.
Genau das macht mir Angst. Wir müssen hier stärker unsere Position gegen rechts zeigen. Die CDU hätte mehr tun müssen für ihren Kandidaten Zeca Schall. Ich erinnere mich, dass Dieter Althaus nur einmal dazu etwas gesagt hat.
Kennen Sie Zeca Schall persönlich?
Nein. Als ich ihn das erste Mal auf den Wahlplakaten gesehen habe, habe ich mich gewundert. Und später habe ich dann gehört, dass er im Wahlkampf von Rechten bedroht wird.
Meinen Sie, jemand wie Zeca Schall wäre in Ihrer Partei besser aufgehoben?
Ich möchte jedenfalls gern mal mit ihm reden und seine Erfahrungen kennen lernen.
Warum haben mehr Thüringer NPD gewählt?
Das habe ich noch nicht analysiert. Was ich weiß, ist, dass die Mehrheit der Leute keine Rassisten sind. Wenn ich im Land unterwegs bin, erlebe ich das nicht. Ich habe hier oft in Schulen über meine Heimat Äthiopien gesprochen. Meine Botschaft lautet: Wir brauchen Ausländer, ihre kulturelle und geistige Vielfalt. Thüringen als Exportland kann es sich nicht leisten, dass unsere Kinder ausländerfeindlich sind. Wenn du 18, 19, 20 Jahre alt bist, musst du weltoffen sein. Welche Firma, die vom Export lebt, würde dich sonst einstellen.
Was kann man tun?
Jeder muss den Mut haben, seine Familie, seine Kultur zu zeigen. Ich kann das von meiner Kindheit in Äthiopien sagen. Mit sieben Jahren wollte ich ein Mädchen aus unserer Nachbarschaft kennen lernen. Das waren Italiener. Sie hatten so eine schöne Tochter, das weiß ich noch, mit weißer Haut. Ich musste zwei Wochen warten, bis ihre Mutter mir erlaubt hat, in ihre Wohnung zu kommen. Und was ich da gesehen habe, hat mich verändert. Das Mädchen hatte ein eigenes Zimmer, ein eigenes Bett – das kannte ich überhaupt nicht aus meiner Großfamilie. Ich bin nach Hause gelaufen und hatte eine andere Welt gesehen. Ich wusste, ich will für ein besseres Leben kämpfen. Meine Kinder sollen auch ein eigenes Bett haben.
Diese Erfahrung hat Sie weitergebracht?
Ja, ich will damit sagen: Wenn niemand dir als Kind die Chance gibt, neue Erfahrungen zu machen, dann hast du keine Ziele, du weißt nichts von der Welt. Dann wählst du vielleicht NPD. Meine Rolle hier in Thüringen ist auch zu sagen: Kommt, wir schaffen das. Wir müssen nicht nur die Ausländer integrieren, sondern wir müssen uns integrieren in eine globalisierte Welt. Wir Deutschen sind zwar offiziell integriert in die internationale Gemeinschaft, aber zu Hause, da bleiben wir in der Gemütlichkeit unserer Dörfer.
Was ist für Sie Gemütlichkeit? Gibt es dafür überhaupt in anderen Sprachen eine Entsprechung?Das ist ein schönes Wort, finde ich. Man muss ja nicht gleich darin versinken, jeder kann das für sich definieren. Ich war gerade neun Monate in Äthiopien, und selbst da habe ich abends, wenn die Kinder schliefen, meine eigene Gemütlichkeit zelebriert: Ich habe Blumen auf den Tisch gestellt und Kaffee getrunken. ich habe mir Zeit genommen.
Angenommen, Ihr Mann Christoph Matschie wird doch noch einmal Thüringer Ministerpräsident, wie sähen Sie sich in der Rolle als First Lady, als Landesmutter?
Ach Gott, ja. Ein Radiosender hat mit den Frauen der Spitzenkandidaten einen Backwettbewerb gemacht, wir drei sollten einen Kuchen backen, den haben wir zum Interview mitgebracht. Das ist eigentlich nicht meine Art, mich öffentlich darzustellen. Aber das Schöne war: Ich habe gewonnen, mit einem Thüringer Pflaumenkuchen. Ich habe den Kuchen so übertrieben dekoriert, dass jedem klar sein musste, dass das ironisch ist. Mein Mann wird gewählt, weil er politisch überzeugt, nicht weil seine Frau guten Kuchen bäckt. Etwas anderes wäre wichtig: Wenn ich es würde, wäre ich eine Symbolfigur. Ein gutes Symbol, weil ich klarmachen würde: Ich stehe nicht fürs Kochen und nicht für den Garten. Ich stehe für die Botschaft, dass in Deutschland eine Frau wie ich First Lady werden kann. Dass eine andere Zeit angebrochen ist, in der die Leute permanent damit konfrontiert sind, dass da eine Frau ist, die ursprünglich woanders herkommt.
Sie sähen das als Signal?
Ja, aber diese Botschaft richtet sich nicht nur an die Deutschen, sondern auch an die anderen. Die Leute würden ein Gefühl dafür bekommen, wie normal das ist. Insofern spiele ich schon jetzt symbolisch eine Rolle. Du kannst hundertmal sagen, Thüringen ist ein weltoffenes Land. Aber das kannst du nicht herbeireden, das musst du erleben.
Im Fernsehen wirkten Sie eher schüchtern.
Ich schüchtern? Auf keinen Fall. In einer Zeitung war ein Foto vom Wahlabend zu sehen, wo ich unterwürfig nach oben schaue. Das war aber nur, weil ich die ganze Zeit nach oben auf die NPD-Prognose gestarrt habe.
Sollte die NPD verboten werden?
Ja.
Gibt es dafür Chancen?
Jetzt ja.
Warum?
Weil ich weiß, dass Christoph Matschie sich darum kümmert, das ist eines seiner politischen Themen.
Als Sie im Wahlkampf mit Ihrem Mann über die Dörfer gereist sind, haben Sie da Alltagsrassismus erlebt?
Nein, nie.
Schützt Sie das Amt Ihres Mannes?
Ja, das kann sein. Aber vielleicht habe ich auch mehr Glück gehabt. Ich bin in einer guten Situation, ich lebe in einer weltoffenen Stadt wie Jena. Aber ich kenne Leute, die Ausländerfeindlichkeit erlebt haben.
Sie möchten dagegen angehen als Politikerfrau?
Das ist doch selbstverständlich. Ich bin jemand, der spricht, wenn er gefragt wird. Und ich sage: Ich bin eine stolze Deutsche. Ich kann da etwas sagen, was die anderen nicht aussprechen können.
Das ist ja in Deutschland kein beliebiger Satz.
Ja, aber ich kann das sagen. Deutschland ist für mich Humanismus, Rationalismus, Literatur, ich bewundere das. Wenn mir das jemand nehmen will, macht er mein Deutschsein kaputt. Ich möchte auch niemand anderem seine Identität wegnehmen.
Wie sind Sie von Äthiopien nach Thüringen gekommen?
Das war ein langer Weg. Mit 16 habe ich in Äthiopien Abitur gemacht, mit 17 habe ich Ingenieurwissenschaften studiert. Dann bin ich nach Brüssel gegangen, weil meine Schwester da Diplomatin war. Dort habe ich studiert und viel gearbeitet, ich musste ja Geld verdienen. In einer reichen belgischen Familie war ich Hausangestellte. Ich komme selbst aus einem angesehenen Haus, mein Vater war Gerichtspräsident. Aber in Äthiopien hat man ein anderes Verhältnis zu Reichtum als in Europa, das habe ich schnell gemerkt.
Was war anders?
Wenn du in Äthiopien reich bist, musst du teilen. Du kannst dich nicht hinter deinen Mauern verschanzen. Du konntest in diesem Land Armut nicht ignorieren – und daraus wuchs eine Verantwortung. In unserer Familie war es verboten, vor den Armen in der Nachbarschaft zu essen. Am Wochenende haben wir ein Schaf geschlachtet, und zuerst haben die Nachbarn bekommen, dann durften wir Kinder anfangen zu essen.
Sie sind 1968 geboren, haben Sie die äthiopische Hungersnot Anfang der Achtzigerjahre bewusst erlebt?
Ja, damals war ich 17. Ich habe Kindern geholfen, die niemand anfassen wollte, weil sie so krank waren und Ausschlag hatten. Mein Vater hat damals gesagt: Du hilfst diesen Kindern, du bist geimpft, wir haben Medikamente, und abends wäschst du dich gründlich. Und das habe ich dann gemacht. Es war die Zeit von Life Aid, als Bob Geldof und die anderen Musiker überall auf der Welt Konzerte gegeben haben und Spenden für Äthiopien gesammelt haben. Ich habe die Kinder gefüttert mit dem Reis, den die internationale Gemeinschaft gespendet hat. Das war schwierig, denn sie kannten nur Injera, ein Getreide, aus dem man Brotfladen bäckt.
Sie haben in verschiedenen Ländern gelebt. Was bedeutet Ihnen Heimat?
Ich komme aus einer Gesellschaft, in der die Familie sehr wichtig ist. Ich will versuchen, das zu versinnbildlichen: Äthiopische Häuser haben nicht vier Ecken, sondern eine Säule, eine Mitte. Für mich ist diese Mittelsäule meine Familie, und wo die ist, ist meine Heimat. Zu der habe ich Jena gemacht. Diese Säule war nicht von Anfang an da, ich musste sie erst errichten. Ich bin aus Brüssel hierhergekommen, ich hatte jemanden kennen gelernt: Christoph.
Woher kannten Sie sich?
Ich war eine einflussreiche Politologin bei der UNO, ich habe zum Thema Kontrolle von chemischen Waffen gearbeitet. Dann bin ich nach Jena an die Universität eingeladen worden, um Seminare über die Europäische Union und die UNO zu geben und zu erklären, wie man dort Einfluss nehmen kann. Das war 1993, hier in Jena sah es noch aus wie zu DDR-Zeiten. Und damals hat der einladende Professor auch den SPD-Bundestagsabgeordneten Christoph Matschie eingeladen. Der ist mit dem Motorrad gekommen, Lederjacke, rote Haare, einfach, locker. Das war der eine Punkt.
Und der andere?
Er hat mich intellektuell beeindruckt. Er ist ernsthaft, er überlegt, wenn er diskutiert. Das machte ihn interessant. Und wissen Sie, was er gemacht hat? Er hat mich, die Frau von der UNO, in die Mensa eingeladen, wir haben von Plastegeschirr gegessen, unglaublich! Romantik sieht wirklich anders aus. Aber das alles zusammen hat bewirkt, dass ich auf ihn aufmerksam geworden bin. Erst später habe ich gespürt, dass ich immer mit ihm zusammenbleiben will. Ich bin von Brüssel nach Jena gezogen, 1997 haben wir geheiratet, 2000 und 2002 sind unsere Kinder geboren worden, Felix und Josephine.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Ihr Mann einmal Ministerpräsident wird?
Dazu sollte ich besser nichts sagen. Aber das wirkt irgendwie unsouverän. Die Sache ist die, dass das, was in den Koalitionsverhandlungen läuft, wirklich keine Familienangelegenheit ist. Hier geht es um Macht, und solche Sachen besprechen wir nicht zu Hause am Küchentisch. Als SPD-Mitglied hatte ich im Ortsverein lange genug Zeit, meine Meinung zu diesem und jenem abzugeben. Wir waren gefragt, wir haben geantwortet. Was wollen wir, wie wollen wir dieses Land gestalten, und darüber haben wir abgestimmt. Wir haben gesagt: Christoph Matschie, du gehst ins Rennen, du machst das, und jenes machst du nicht. Er hat unser Vertrauen. Wie er jetzt entscheidet, ist seine Sache, da mische ich mich nicht ein. Ich sitze nicht jeden Abend zu Hause und frage: Na, Christoph, gibt’s was Neues, irgendwas, was ich wissen müsste?
Sind Sie stolz auf Ihren Mann?
Ja. Ich kenne ihn jetzt seit vierzehn Jahren, ich bin ihm den ganzen Weg gefolgt, jede Etappe. Abgeordneter, Staatssekretär, die ganzen politischen Auseinandersetzungen. Er hat ja nicht immer nur gewonnen. 2004 haben wir zusammen die Landtagswahl verloren, richtig verloren. Aber in der Zeit danach ist den anderen in der Partei und in der Öffentlichkeit seine Kraft bewusst geworden.
Weil er etwas Neues verkörpert hat?
Ich bin überzeugt davon, dass jetzt ein Politikerwechsel stattfindet, dass jetzt Leute wie Christoph Matschie rankommen.
Die alte SPD-Elite dankt ab?
Politik funktioniert nicht mehr über Aggressivität und Machtspiele. Ich erwarte von einem Politiker, dass er themenbezogen entscheidet. Schön, wenn jemand charmant ist, aber das ist nicht das Wichtige. Es ist Glaubwürdigkeit.
Wie sieht Ihr Alltag aus?
Ich habe meine Familie, ich habe viele Freunde in Jena, ich arbeite in einem Verein, der äthiopische Biobauern unterstützt.
Sie haben eine umfassende Ausbildung, haben promoviert, reicht Ihnen der Verein?
Den Verein kann man nicht losgelöst von mir als Wissenschaftlerin sehen, denn über das, was wir dort gemeinsam mit den Bauern erreichen, will ich mich an der Uni Jena habilitieren. Da geht es um den Transfer ganz alter Herstellungsmethoden in die globalisierten Zusammenhänge des 21. Jahrhunderts.
Was konkret tut der Verein für sie?
Wir fahren dorthin und zeigen den Bauern, wie sie aus ihrem tollen Obst Marmelade herstellen und regional vermarkten können. Anders als üblich sagen wir nicht: Ich nehme deine Produkte, aber du bleibst mal schön in deinem 16. Jahrhundert, denn wenn du auch drei Autos und einen Kühlschrank haben wolltest, würde uns das die Klimabilanz versauen. Wir fahren mit ihnen in die Städte und zeigen ihnen die Welt des 21. Jahrhunderts. Damit sie wissen, was sie erreichen können. Aber auch, was sie an sich selber haben.
Was hat sich seit dem Wahlabend für Sie verändert?
Ich bin natürlich glücklich, dass Christoph Erfolg hatte. Aber ich bin immer noch dieselbe. Die Leute haben vielleicht mein Foto gesehen, und deshalb wissen sie jetzt ein bisschen mehr über mich. Und vielleicht auch etwas über Deutschland.
■ Anja Maier, 43, ist sonntaz-Redakteurin und lebt in Brandenburg. Dort tritt in vier Wochen auch die NPD zur Landtagswahl an.
■ Birgitta Kowsky, 42, ist freie Fotografin in Sachsen. Dort erreichte die NPD bei der Wahl am Wochenende 5,6 Prozent.