: Die Titeljunkies
Nach dem erneuten Gewinn des EM-Titels sollen mit einer neuen Generation von Fußballerinnen und unter einer neuen Trainerin weitere Trophäen errungen werden
BLACKBURN taz ■ Ein bisschen erschöpft sah Bjarne Berntsen aus, ansonsten aber war der gemütliche Coach mit sich und seinen norwegischen Fußballerinnen ganz offensichtlich im Reinen. Er blickte aus müden Augen in die Runde und erklärte: „Mit der Silbermedaille bin ich zufrieden.“ Zufrieden damit, das Finale der Europameisterschaft erreicht und dort dann einigermaßen diskussionsfrei mit 1:3 gegen Deutschland verloren zu haben. „Denn“, machte Berntsen zum besseren Verständnis kurz deutlich: „Wir haben heute gegen das beste Team auf dieser Welt gespielt.“
Bis zum frühen Sonntagabend ist dieses beste Team weltweit von einer Frau betreut worden, die man sich in ihrer fast schon klösterlichen Bescheidenheit in vielen anderen Jobs bedeutend besser vorstellen könnte. Doch jetzt stand Tina Theune-Meyer wieder einmal als Turniersiegerin da. Im Eingangsbereich des Ewood Park von Blackburn, unter den Füßen weichen Teppichboden und in den Händen – nichts. Wenn man einen Job erfolgreich erledigt hat, dann sollte man schließlich nur noch das Allernötigste mit sich nehmen.
Im Stadion hatte die ausscheidende Bundestrainerin zuvor alles verteilt, was man ihr, der Siegerin, so zugesteckt hatte. Blumen vor allem. „Alles für die Zuschauer“, sagte die 51-Jährige. „Damit ich nicht so viel Gepäck habe.“ Auf der Heimreise, vor allem aber bei der Siegesfeier. „Bei der Abschlussbesprechung“, berichtete Innenverteidigerin Steffi Jones, „hat sie gesagt: ‚Ich hab’ heute total Bock auf Party.‘“ Und Jones blieb bei diesem eindeutigen Bekenntnis der ruhigen Trainerin nur die Aufforderung: „Tina, halt dein Wort!“
Bevor sich dann alle gemeinsam im Prestoner Mannschaftshotel ins Getümmel warfen, machte sich Birgit Prinz noch ein paar Gedanken über Tina Theune-Meyer. „Da gibt es so viele Kleinigkeiten, die einen an sie erinnern. Ich weiß gar nicht, wie es ohne sie werden wird“, sagte die Kapitänin leise, während die gelöste Trainerin („Was jetzt kommt, ist ein Traum“) ihrerseits eine Liebeserklärung an ihr Team loswerden musste. „Einfach klasse“ seien ihre Spielerinnen, schwor sie in den warmen Kellergewölben des Ewood Park mit errötetem Gesicht. „Sie sind in die Fußstapfen der Mannschaften vor ihnen getreten, können mit denen auf jeden Fall konkurrieren.“ Doch bei allen Vergleichen: Vor allem empfindet sie für das aktuelle Team tiefe Sympathie. „Diese Spielerinnen“, strahlte Theune-Meyer, „haben richtig Herz.“
Als Beispiel führte sie die kleine Conny Pohlers aus Potsdam an: „Körperlich ist sie eigentlich ein Hemd. Aber sie hat hier super Spiele hingelegt.“ Dass die Partien der deutschen Mannschaft in England alles in allem nicht ganz so super waren, interessierte am Finalabend natürlich niemanden mehr. Zumal die DFB-Auswahl im Endspiel ihre beste Turnierleistung gezeigt hatte – und mit Inka Grings darüber hinaus die Torschützenkönigin des Turniers stellt. Bezeichnenderweise verdankt die Duisburgerin das einem Hinweis der Kollegin Anja Mittag, der zunächst der Treffer zum 1:0 im Finale gutgeschrieben worden war. „Aber Anja kam gleich zu mir und hat gesagt, dass ich die Torschützin bin“, erzählte Grings. Die Uefa revidierte ihr Urteil, und Grings jubelte: „Jetzt habe ich zwei Titel.“
Was die Zukunft der deutschen Titeljunkies angeht, muss man nicht erst mit Norwegens Coach Bjarne Berntsen gesprochen haben, um zu ahnen: Die Chancen auf eine Titelverteidigung stehen bei der Weltmeisterschaft 2007 in China nicht schlecht. Auf dem eigenen Kontinent ist die Erfolgsserie der deutschen Fußballerinnen ohnehin längst atemberaubend: Seit zwölf Jahren, seit 20 Spielen haben die diversen DFB-Teams bei EM-Endrunden nicht mehr verloren. „Ja, Wahnsinn“, fällt Theune-Meyer bei dieser Statistik bloß ein. Und die neue Bundestrainerin Silvia Neid, neun Jahre lang ihre Assistentin, wird nun versuchen, diese Serie noch weiter auszudehnen.
Einige der frisch gebackenen Europameisterinnen, vor allem im Abwehrbereich, haben dabei das beste Fußballerinnenalter bereits überschritten. Steffi Jones ist 32, Außenverteidigerin Sandra Minnert ebenfalls, Torhüterin Silke Rottenberg 33. Aber diese Damen haben in England offensichtlich noch einmal Blut geleckt. „Ich denke, dass die alle noch die WM spielen wollen“, lächelte Tina Theune-Meyer.
Und daneben scharrt auch schon der ähnlich erfolgreiche Nachwuchs immer heftiger mit den Hufen. Die U19-Nationalmannschaft ist im vergangenen November in Thailand ebenfalls Weltmeister geworden, jetzt drängen die jungen Frauen zu den Großen. „Das sind sehr athletische Spielerinnen“, weiß Theune-Meyer über das von Silvia Neid betreute Team. „Sehr stark in Eins-gegen-eins-Situationen, mit sehr schnellen Augen.“ Das heißt also: „So richtige Fußballerinnen, das ist ja das Schöne.“
Künftige Gegner werden das womöglich nicht ganz so schön finden. Oder mit Platz zwei zufrieden sein. So wie Bjarne Berntsen. ANDREAS MORBACH