: „Wir brauchen uns nicht zu schämen“
Arbeit, Arbeit, Arbeit – die Grünen sind die einzige Partei, die mehr und nachhaltige Beschäftigung schafft, sagt Reinhard Loske, Vize-Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Und fordert für die Zukunft mehr Ökologie mit weniger Bürokratie
INTERVIEW NICK REIMER
taz: Herr Loske, was ist ein Cricetus criketus?
Reinhard Loske: Klingt nach einer lateinischen Tierbezeichnung.
Stimmt: Das ist der Feldhamster. Die CDU hat ihn im Wahlkampf für sich entdeckt.
Der Hamster kann einem Leid tun: Sie schlagen ihn, meinen aber die Umweltpolitik. Und uns Grüne natürlich im Speziellen – als Jobvernichter und Verhinderer von wirtschaftlicher Entwicklung. Dieses Klischee wird derzeit aber nicht nur von der Union kräftig bemüht, sondern auch von einigen Sozialdemokraten.
Wieso ist der Boden für Klischees gerade so fruchtbar?
In diesem Wahlkampf werden die Themen heißen: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Und weil niemand außer den Grünen ein überzeugendes Konzept für mehr und nachhaltige Beschäftigung hat, wird ein künstlicher Gegensatz von Ökologie und Ökonomie erzeugt.
Wie bitte? Die Grünen als Partei der Arbeit?
Die Grünen sind die Partei der Zukunftsaufgaben. Mehr Beschäftigung ist natürlich eine wesentliche Zukunftsaufgabe.
Den meisten Menschen ohne Job ist das Heute aber wichtiger als die Zukunft.
Menschlich ist das verständlich. Aber es ist realitätsfremd, Themen wie Klimawandel, Ressourcenschonung und biologische Vielfalt zu weichen Themen erklären zu wollen, die man sich nur in Schönwetter-Zeiten leisten kann. Das sind existenzielle Themen, ohne die Wirtschafts- , Beschäftigung- und Innovationspolitik nicht möglich ist. Dafür stehen die Grünen – und die Erfolge geben uns Recht.
Das statistische Bundesamt weist 1,5 Millionen Jobs im Umweltschutz aus. Das sind 4 Prozent aller Beschäftigten. Nicht gerade eine Strahlebilanz.
Erstens ist das fast ein Viertel mehr durch Rot-Grün. Zweitens sind das nur die Jobs, die ganz direkt mit Umwelt in Zusammenhang stehen. Wie aber wollen sie etwa die Jobs zählen, die aufgrund eines neuen Energie- und Rohstoffkonzeptes wieder wettbewerbsfähig geworden sind und nicht ins Ausland verlagert wurden? Man muss einen systemischen Ansatz wählen: Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft, nachwachsende Rohstoffe und weg vom Öl – wenn wir uns an bestimmten Leitbildern orientieren, kommen wir zu anderen Wirtschaftsperspektiven, als sie derzeit leider auch in der SPD dominieren.
Zum Beispiel?
Nehmen wir die chemische Industrie. Erstes Stichwort „weiße Biotechnologie“: Durch die so genannte Biokatalyse können hochenergetische Prozesse durch biologische ersetzt werden. Sie sparen Wasser, sparen Energie – was guter Klimaschutz ist – senken die Arbeitskosten und werden wettbewerbsfähig. Zweites Stichwort: nachwachsende Rohstoffe für die Chemie. Absehbar wird Öl teurer. Wer in der chemischen Grundstoff-Wirtschaft auf vor der Haustür wachsende Bio-Öle umsteigt, wird davon unabhängig und absehbar billiger. Die dritte Innovation betrifft den ganzen Bereich der Dienstleistungen in der Chemie: Wenn Chemikalien nicht mehr verkauft, sondern verleast werden, fördert das Kreislaufwirtschaft und Produzentenverantwortung.
So weit die Theorie. Sie hatten sieben Jahre Zeit, die umzusetzen. Was ist gelungen?
Wir haben als Grüne eine enorme Investitions- und Innovationsdynamik ausgelöst. Energieeinsparung, Agrarwende, erneuerbare Energien, Ökosteuer oder Lkw-Maut – wir haben viel Positives in der Waagschale. Aber wir mussten auch schmerzhafte Kompromisse verantworten.
Warum sollte das in einer Neuauflage von Rot-Grün besser werden?
Wir brauchen uns für die sieben Jahre wahrlich nicht zu schämen. Manchmal ist aber vor lauter lauter Feinstaub, Dosenpfand oder Bundesimmisionsschutzverordnung vergessen worden, die großen Linien aufzuzeigen. Um die wieder stärker in die Politik zu bekommen, kommt dieser Wahlkampf gerade recht.
Um danach im Falle einer Wiederwahl wieder an der SPD zu scheitern?
Ich kann mich nur wundern über unseren Koalitionspartner: Helmut Schmidt hat vor 30 Jahren schon Ökologie zum Wohlstandsthema erklärt, und die SPD droht jetzt einen programmatischen Schwenk zurück in diese Zeit zu machen. Im politischen Wettstreit um ökologische Wirtschafts-Innovationen werden Positionen von etwa Kurt Beck oder Sigmar Gabriel nur noch von Angela Merkel und Guido Westerwelle unterboten.
Keine Zusammenarbeit mit der Anti-Feldhamster-Fraktion?
Wir brauchen mehr Ökologie mit weniger Bürokratie. Tatsächlich nämlich weiß der Markt oft besser, wie ein politisches Ziel wirtschaftlich umgesetzt werden kann. Dafür braucht man eine bessere Umwelthaftung durch die Unternehmen und moderne Instrumente wie den so genannten Top-Runner-Ansatz: Die jeweils beste Technologie wird zum Standard. Alle Wettbewerber auf dem Markt müssen den in spätestens drei bis fünf Jahren erreichen, sonst fallen sie aus dem Markt raus. Das funktioniert aber nur, wenn die Politik mehr ökologische Vorgaben macht. Mit neu genehmigten Kohlezechen und verlängerten Laufzeiten für Atomkraftwerke bekommt man keine Innovation in der Energieerzeugung hin.