berliner szenen: Weil der Hintermann drängelt
Die Kreuzung am Bahnhof Zoo ist hässlich. Am Freitag nervt der Feierabendverkehr schon ab mittags. Die Fußgänger warten an der Ampel, mal schnell rüberflitzen wäre hier lebensgefährlich.
Neben mir steht ein Elternpaar mit kleinem Jungen im Kinderwagen. Sie zeigen rüber zur Gedächtniskirche, trotz Kälte gut gelaunt, bestimmt Touristen. Als die Fußgängerampel auf Grün springt, schieben sie mit Schwung los. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen Kleinwagen mit hoher Geschwindigkeit heranrauschen und schreie: „Vorsicht“. Die Eltern reißen den Kinderwagen zurück und bleiben wie eingefroren stehen. Sie geben keinen Mucks von sich, auch das Kind nicht, obwohl ich laut schimpfe und gestikuliere in Richtung der Autofahrerin, die scharf gebremst hat. Ob sie noch zu retten ist, ob sie noch alle Tassen im Schrank hat, um ein Haar hätte sie das Kind erwischt. Die Autofahrerin gestikuliert auch, wütend fuchtelt sie mit den Armen, was sie sagt, ist nicht zu verstehen. Auf der Kreuzung blockieren sich jetzt mehrere Wagen mit Dauerhupen. Irgendwann haucht die Mutter „Danke“, auch der Vater mit belegter Stimme. Und dann übersetzt er mir die Gesten der Autofahrerin: sie habe nicht anders gekonnt, weil der Wagen hinter ihr so dicht aufgefahren sei.
Nicht anders gekonnt? Als auf die Fußgänger zuzusteuern? Als sein Kind zu gefährden? Der Vater zuckt mit den Schultern. Sind die Erklärungen seine Art, mit dem Schreck umzugehen? „Die Frau war halt wahnsinnig unter Druck durch das Gedrängel.“ Das regt jetzt eine andere Erschrockene auf: „Und deshalb tritt sie aufs Gas? Dann ist sie einfach nicht fahrtauglich.“ Das wär’s: einmal Polizistin sein und der Fahrerin auf der Stelle den Führerschein abnehmen. Und dem drängelnden Hintermann gleich mit.
Claudia Ingenhoven
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