: Das Montagsinterview„Jiddisch ist immer noch verpönt“
Die Musikerin Stella Jürgensen kämpft gegen Klischees, die den Zugang zur jüdischen Musik verengenPATHOS ODER KÜHLE Sie ist deutsch, lebt in Tel Aviv und Hamburg und singt hüben und drüben hebräische Lieder. Auch jiddische. Mit denen macht sich die Musikerin Stella Jürgensen in Israel allerdings bislang nicht sehr beliebt
lebt in Hamburg und Tel Aviv. Die professionelle Sprecherin für Rundfunk und Fernsehen coacht an der Hamburg Media School werdende Moderatoren und Musiker.
Jüdische Musik spielt die Sängerin und Ukulele-Spielerin selbst seit rund zehn Jahren, derzeit in einem Duo mit einem 5-String-Banjo. Seit anderthalb Jahren organisiert sie zudem das Musikprogramm des jüdischen „Café Leonar“ in Hamburg (www.cafeleonar.de).
INTERVIEW PETRA SCHELLEN
taz: Frau Jürgensen, warum machen Sie jüdische Musik?
Stella Jürgensen: Muss ein Chinese heute noch erklären, warum er Beethoven liebt?
Warum nicht?
Okay. Also – die jüdische Musik ist unglaublich gut!
Was genau schätzen Sie daran?
Ihre besonderen Tonarten. Ihre Verbindung zur Religion. Und die Tatsache, dass es viel Salz und Pfeffer braucht – und noch andere exotische Gewürze –, um ihr Timbre zu treffen.
Unterscheiden sie jetzt zwischen jüdischer und jiddischer Musik?
Nein. Das Schwierige bei dieser Musik ist allerdings, dass Juden erst seit gut 50 Jahren einen eigenen Staat haben und dass ihre Musik nicht regional gebunden war. Sie hat – aus politischen und historischen Gründen – immer den Austausch über Kontinente gepflegt. Das jiddische Theater samt Musik wurde zum Beispiel in Rumänien erfunden. Anfang des 20. Jahrhunderts sind viele Juden vor Pogromen von dort nach Amerika geflohen. Ihre Musik nahmen sie mit und mischten sie mit Jazz und Swing. Es entstand neue Theatermusik wie das Musical „Anatevka“. Jahre später gingen einige nach Europa zurück, nahmen wiederum ihre Musik mit und integrierten aktuelle europäische Impulse.
Kann man da überhaupt noch originär Jüdisches herausdestillieren?
Man kann es zum Teil, weil traditionelle jüdische Musik – und das meint: die traditionelle jiddische Musik der ashkenasischen Juden aus Osteuropa – spezielle Tonarten und Rhythmen hat.
Wo liegen die Wurzeln der jiddischen Musik?
In der Musik der Synagoge. Ohne sie wäre die traditionelle jiddische Musik nicht entstanden. Die Werke, die wir kennen, sind ungefähr 400 Jahre alt. Erste Aufnahmen entstanden vor 100 Jahren. Damals begann man auch, diese Musik erstmals aufzuschreiben. Denn die Weitergabe dieser Musik wurde lange dadurch behindert, dass viele, die traditionelle jiddische Musik machten, nicht studieren durften. Sie konnten ja keine Noten. Um 1880 durfte erstmals ein Jude am Moskauer Konservatorium studieren.
Er studierte Klezmermusik?
Vermutlich. Aber dieser Begriff ist ohnehin sehr klischeebehaftet. Klezmer bezeichnet ursprünglich die instrumentale Hochzeitsmusik der ashkenasischen Juden. Was wir heute als Klezmer kennen, sind die Tänze. Das Repertoire war aber größer und umfasste auch Nigunim- Gesänge der traditionsbewussten chassidischen Juden aus Osteuropa.
Welches Klezmer-Klischee ärgert Sie besonders?
Das des ewig gut gelaunten, fiedelnden Juden aus „Anatevka“. Verstehen Sie das nicht falsch: „Anatevka“ ist ein großartiges Musical. Aber die Reduktion auf das Folkloristische lässt außer Acht, wie viele Zutaten diese Musik hat. Was außerdem den Blick auf traditionelle jüdische Musik verstellt ist, dass sie meist mit KZ- und Ghetto-Liedern assoziiert wird. Auch dies ist nur Teil des jüdischen Musikfundus. Die wichtigsten Dokumente der Arbeiterbewegung sind zum Beispiel auf Jiddisch verfasst.
Welche Stücke suchen Sie für Ihre eigenen Konzerte aus?
Diejenigen, zu denen ich persönlich einen Zugang finde. Das Volkslied „Sterndl“ handelt zum Beispiel von einem Mann, der von seiner Familie getrennt ist und ihr einen Stern als Botschafter schickt. Sehr schön ist auch der jiddische Tango „Wen ich sol dich farlirn“: „Wenn ich dich verlieren sollte, wird mein Leben trostlos“, sagt der Text. Dann gibt es einen Partisanenlied aus Wilna: „Schtil, di Nacht is ojssgeschternt“. Drei drei jüdische Partisanen jagen darin einen Nazi-Transporter in die Luft.
Singen Sie auch Lieder aus Ghettos und KZ?
Nein. Es ist so schwer, sie ohne Pathos zu singen. Das können andere besser.
Warum ist jiddische Musik so anfällig für Pathos?
Vermutlich aufgrund von Vorurteilen und Klischees. Weniger aufgrund der Inhalte, denn die sind ja nicht pathetisch – auch nicht bei den Liedern aus KZ und Ghettos. Aber weil sie unter so schlimmen Bedingungen entstanden, neigt man leicht dazu, Pathos hineinzubringen.
Singen Sie auch Hebräisch?
Ich habe einige hebräische Volkslieder im Repertoire. Auch Gebetslieder aus der Synagoge.
Warum haben Sie überhaupt angefangen, sich für jüdische Musik zu interessieren?
Ich habe vor über zehn Jahren eine CD der „Klezmatics“ gehört und war so begeistert, dass ich begann, auf Festivals zu fahren und Kontakte zu Musikern zu knüpfen. So bin ich peu à peu in diese Musik hineingewachsen. Geholfen hat sicher auch, dass ich eine Belcanto-Ausbildung habe. Alles Weitere habe ich mir auf Workshops und durch das Hören von CDs angeeignet. Und wenn man sich mit dieser Musik befasst, kommt man zudem automatisch in die Situation, Musikwissenschaftler, Ethnologe und Historiker zu sein. Auf der Bühne müssen Sie dann natürlich Ihr Wissen über diese Musik vergessen. Dann zählt nur noch die künstlerische Interpretation.
Treten Sie auch in Israel auf?
Ja.
Ist jiddische Musik dort beliebt?
Nein. In Deutschland gab es ja – wie in den USA – in den 80ern ein Jiddisch-Folk-Revival. In Israel dagegen ist Jiddisch immer noch verpönt. Es gilt als Sprache der Holocaust-Opfer, die sich zu Millionen auf die Schlachtbank führen ließen. Israel will aber – so das Selbstverständnis – eine starke Nation werden, der solch millionenfacher Mord nicht wieder passiert. Deshalb gab es schon vor der Gründung des Staates Israel heiße Debatten über die Sprachfrage. Schließlich wählte man Hebräisch. Allerdings nicht das der osteuropäischen ashkenasischen Juden, sondern das der Sepharden.
Warum?
Weil es geographisch und sprachlich weiter vom Jiddischen entfernt ist. Sephardische Juden lebten ursprünglich in Portugal und Spanien, mussten allerdings 1492 entweder konvertieren oder fliehen. Viele gingen daraufhin nach Nordafrika und in den Orient.
Ihre israelischen Freunde sprechen also kein Jiddisch?
Einige schon – im Alltag. Denn eigentlich ist Hebräisch „heilige Sprache“ und reserviert für den Dialog mit Gott. Trotzdem war Jiddisch in Israel bis in die neunziger Jahre verpönt. Das hinterließ natürlich Spuren: Wenn ich meine israelischen Freunde zu überzeugen versuche, dass sie der jiddischen Musik eine Chance geben sollen, sagen sie mir: „Ich bin damit aufgewachsen, dass das ‚Igitt‘ ist, ich kann da nicht drüber, es ist eine emotionale Barriere.“
Also singen Sie in Israel nicht jiddisch?
Doch, natürlich!
Und wer kommt zu den Aufführungen?
Es gibt einen kleinen Kreis von Jiddischisten. Außerdem einige alte Leute, die den Holocaust überlebt haben.
Wie sind diese Menschen gestimmt?
Sentimental, aber auch kritisch.
Hören Israelis gern jiddische Lieder aus dem Mund einer Deutschen?
Ich habe es nie als Problem aufgefasst. Natürlich bleibe ich Europäerin, aber ich fühle mich Israel sehr verbunden. Mein Mann stammt aus Tel Aviv, wo ich – neben meinem hamburgischen – seit zehn Jahren einen Zweitwohnsitz habe. Viele dort halten mich für eine Israelin. Natürlich habe ich einen Akzent – aber ich habe die vielen Zwischentöne gelernt, die man braucht, um den israelischen Alltag zu decodieren und nicht in Fettnäpfchen zu treten. Zum Beispiel Klischees zu bedienen, die auch der deutschen Intelligenzija immer wieder unterlaufen: „Juden wissen doch gut, wie man mit Geld umgehen kann“, höre ich hierzulande manchmal. Oder: „Hast du mal einen guten Tipp für einen Broker“?
Immer noch?
Natürlich! Auch, dass Juden große Nasen haben und dass die alle so schlau sind …
Welche Generation äußert das?
Alle. Andererseits halten sich auch in Israel die Klischees. Zum Beispiel das vom Deutschen als Nazi.