: Erst zwei Fäuste, dann das Halleluja
SPIELZEIT Matthias Hartmann startet seine Intendanz am Burgtheater opulent, aber auch durchmischt
Das Wiener Burgtheater ist ein Traum für einen jeden theaterbegeisterten Menschen, der gern Geld ausgibt. Man könnte unter Umständen also schon Verständnis dafür aufbringen, dass der Nobel Player unter den Intendanten nach gerade mal vier Jahren am Züricher Schauspielhaus in das finanziell am besten ausgestattete Sprechtheater der Welt wechselte.
Dass Matthias Hartmann dort genauso schnell wieder seine Koffer packt, steht insofern nicht zu befürchten, als ein „höher, weiter, teurer“ nicht mehr geht. Er ist bereits im Schlaraffenland angekommen und im Gegensatz zu seinem Vorgänger Klaus Bachler ein Regie führender Intendant, der sich zum Auftakt seiner neuen Intendanz Goethes ganz nebenbei „Faust“ leistet – der Tragödie erster und zweiter Teil, versteht sich.
Freitagnachmittag um fünf Uhr ging es los. Durch mit der Deutschen liebstem Grübler war der neue Burgchef dann gegen Mitternacht. Man konnte sich nach sieben Stunden also schon mal auf die Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs „Der goldene Drache“ am Tag darauf einstellen und grübeln, was da war außer einer Pause und Katharina Lorenz, die der Verliebtheit und dem Wahnsinn des Gretchens einen burschikosen Sinn jenseits aller Jamben gegeben hatte.
Okay, Gert Voss lieferte als tänzelnder und züngelnder Jahrmarkt-Mephisto die Rampen-Show, die man sich von ihm erwarten darf, sorgte damit aber auch mit dafür, dass Tobias Moretti nicht wie ein „Habe nun, ach, alles studiert“, sondern wie ein überforderter Schauspielschüler wirkte. Mehr war da nicht, während Hartmann in „Faust II“ einmal mehr den Avantgardisten in sich entdeckte und aus Goethes pandämonischer Griechen-Reste-Rampe eine sinnfreie Videoexkursion machte. „Mit Goethe baden gehn“ hätte das Motto des Neustarts bis dahin lauten können, wäre auf die zwei Fäuste nicht doch noch ein Halleluja in Form von Roland Schimmelpfennigs „Der goldene Drache“ gefolgt. Das war am Samstag und insofern eine Überraschung, als Schimmelpfennig nicht nur die Welten rund um ein „Thai-China-Vietnam“-Schnellrestaurant beschreibt, sondern auch die Uraufführung des eigenen Stücks besorgt.
Es geht um ein ganz normales Haus in einer deutschsprachigen Fußgängerzone, in dem fünf fernöstliche Köche auf engsten Raum kochen, in dem Ameisen eine hungernde Grille als Sexsklavin halten, ein junges Paar durch eine plötzliche Schwangerschaft aus dem Honeymoon gerissen wird und ein um seinen kariösen Zahn beraubter junger Chinese als Leiche über die Gewässer dieser Welt den Weg zurück in seine Heimat findet. Dass der Regisseur Roland Schimmelpfennig dem Erfolg des Stücks nicht im Wege steht, überrascht. Dagegen lässt er ganz im Gegenteil zusammen mit Philipp Hauß, Barbara Petritsch, Christiane von Poelnitz, Johann Adam Oest und Falk Rockstroh all die Figuren auferstehen, mit denen der Autor Roland Schimmelpfennig seinen kurzschlüssig verrückten Kosmos märchenhafter Parallelwelten bevölkert.
Es war diese zweite Premiere, die den Beobachter und die Wiener hoffen ließ, ihre Burg sei noch nicht ganz verloren.
JÜRGEN BERGER