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Wenn man nicht mal mehr der Propaganda traut

Rendsburg

29.000 Ein­wohner*innen.

Für den nächsten Gottesdienst in einer russisch-orthodoxen Kirche muss man von hier schon nach Lübeck oder Hamburg, aber einen Laden für russische Spezialitäten gibt es in Rendsburg doch.

Nein, gut fand meine russische Bekannte, nennen wir sie Olga, den Krieg in der Ukraine von Anfang an nicht. Aber nötig sei die „Spezialoperation“ schon, glaubte sie: Immerhin sei die Ukraine von Nazis regiert, allen voran von diesem Alkoholiker Selenski.

Olga lebt zwar seit Jahrzehnten in Rendsburg, aber irgendwie hat sie Russland nie verlassen. Sie spricht kaum Deutsch, arbeitet in einer Firma, in der fast nur russischsprachige Frauen angestellt sind, und auf dem großen Fernseher in ihrer Wohnung laufen nur russische Sender.

Darum war ich ziemlich überrascht, als es bei unserer letzten Begegnung förmlich aus ihr herausbrach: „Die lügen!“

Die Propaganda hatte übertrieben: Auf russischen Websites wurden angebliche Deutsche gezeigt, die vor leeren Läden Schlange stehen und sich in kalten Hinterhöfen um Feuerchen drängen. Dass das nicht der Wahrheit entspricht, weiß Olga.

Und nun? Traut sie niemandem mehr – was im Gegensatz zum unbeirrten Glauben an Putins Propaganda ein echter Fortschritt ist.

Esther Geißlinger

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