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Archiv-Artikel

berliner szenen Oben und unten

Rauchen und fliegen

In den Häusern sind die Wohnungen übereinander gestapelt. Je tiefer man wohnt, desto mehr Steine, Menschen und Bretter bedrücken einen. Man spürt das so genau, als wäre man eine Präzisionswaage. Man ist auch der weiß verdreckten Fassade des Hauses auf der anderen Straßenseite ausgeliefert und den Fenstern, die in der Fassade stecken, den dunklen Räumen hinter den Fenstern, den Fernsehern, die nie ausgehen, der Zeit, die vorbeigeht, den Stimmen in der Straße und den Menschen, die in Räumen panisch hin und her laufen.

Manchmal stehen sie auch lachend am Fenster und werfen fettige Worte auf die Straße. Im vierten Stock war es dagegen wie in einem Raumschiff gewesen, jeden Tag hätte man wegfliegen mögen; die Wolken rauf und runter oder die schmale Straße entlang bis hin zum Alexanderplatz. Manchmal war im Sommer ein kleiner Vogel zu Besuch gekommen, um im Blumenkasten zu essen. Ich hatte den Eindruck, er sei aus einer vertrauten Fremde gekommen; ein Abgesandter aus dem Reich der Toten; vielleicht auch ein unaufdringlicher und gewandter Diplomat, geschickt von dem Ich, dass einmal ich war, um mich an mich zu erinnern. Vorsichtig, weil es ja ein kleiner, unauffälliger Vogel war, den man durch eine hastige Bewegung nicht aufschrecken wollte, hatte man sich zum Fenster bewegt, um in dem Sessel am Fenster, in dieser Kommunikationsblase zwischen Vogel und Mensch, eine Zigarette zu rauchen.

Rauchend wollte ich den verblödeten Körper, das redselige Fleisch, das nur das Gestern kannte, zum Verschwinden bringen. Vielleicht ist es aber auch so, wie Salinger (in „Hebt den Dachbalken hoch, Zimmerleute“) schrieb, dass man plötzlich wegflöge, wenn man zu rauchen aufhörte. DETLEF KUHLBRODT