Kurden sehen sich immer noch als ewige Verlierer

Die Beteiligung von Sunniten an der Regierung wird widerwillig akzeptiert. Hauptziel der Kurden im Irak ist ein starker Föderalismus

„Niemand sollte vergessen, dass wir unsere eigene Agenda haben. Wir verlangen Beteiligung an der Macht“

ERBIL taz ■ In einem eindringlichen Appell haben Amerikaner und Europäer die irakische Führung auf der Konferenz in Brüssel zum Brückenschlag gegenüber den sunnitischen Arabern aufgerufen. Nur die Einbeziehung der sunnitischen Minderheit in den politischen Prozess kann die grassierende Gewalt stoppen, lautet die Zauberformel aus Brüssel und Washington. Shafiq Qazzaz, Minister für humanitäre Hilfe und damit so etwas wie der Außenminister der kurdischen Regionalregierung in Arbil, hört solche Appelle mit sichtlichem Missbehagen. „Wir sind zum Konsens mit allen Seiten bereit“, sagt er im Gespräch. Das zeige nicht zuletzt der Kompromiss im Streit um die Zusammensetzung der verfassunggebenden Versammlung in der vergangenen Woche. Auf Drängen der Amerikaner und der Europäer hatte die schiitisch-kurdische Regierungskoalition den Sunniten 17 Sitze in dem Gremium eingeräumt und 10 weitere Vertreter als Berater aufgenommen, obwohl die Sunniten damit gegenüber den Kurden leicht in der Überzahl sind.

Wie viele kurdische Politiker sieht Qazzaz in den Forderungen des Westens zugunsten der Sunniten eine einseitige Parteinahme für die ehemaligen Staatselite des Irak, unter der die Kurden jahrzehntelang gelitten haben. „Keiner will die Sunniten an den Rand drängen“, sagt Qazzaz. „Aber niemand sollte vergessen, dass wir Kurden unsere eigene Agenda haben.“ Dabei verlangen die Kurden die Auflösung des stark zentralistischen Staatswesens zugunsten einer föderalistischen Ordnung, die ihnen auch in Belangen der inneren Sicherheit wie der Finanzen weitgehende Unabhängigkeit von Bagdad sichert. Allerdings spüren die Kurden in dieser Frage nicht nur von den Sunniten, sondern vor allem von weiten Teilen der Schiiten Gegenwind. Wenig Entgegenkommen zeigten der schiitische Ministerpräsident Ibrahim al-Dschafari und seine schiitische Allianz bislang auch im Konflikt um die Kontrolle über das erdölreiche Kirkuk. Deshalb hat die kurdische Fraktion der Regierungsmannschaft von al-Dschafari nur unter Vorbehalt zugestimmt. „Sie zeigen noch immer die alte Mentalität, die Dezentralisierung mit Machtverlust gleichsetzt“ wirft Qazzaz den schiitischen wie sunnitischen Arabern vor. „Deshalb brauchen wir die Unterstützung aus Europa“, sagt Qazzaz. Insbesondere Länder wie Deutschland, die Schweiz oder Belgien mit ihren starken föderalen Systemen könnten einen konstruktiven Beitrag in der Auseinandersetzung um die künftige Verfassung erbringen.

Dass der Ruf nach internationaler Beteiligung gerade aus Kurdistan kommt, wirkt auf den ersten Blick etwas kurios. Mit dem irakischen Präsidenten und Schlüsselressorts wie Außen- und Planungsministerium halten die Kurden wichtige Posten in der Übergangsregierung. Nie zuvor war ihre Verhandlungsposition in Bagdad so stark wie heute, zumal sie mit der Wahl von Massud Barsani zum Präsidenten von Kurdistan ihre Machtstellung gegenüber der Zentralregierung gefestigt haben. In Kurdistan ist man sich dieser Pfunde bewusst und setzt sie auch ein. „Wir sind keine Bittsteller“, sagt der Minister. „Was wir verlangen, ist die Beteiligung an der Macht.“

Trotzdem sitzt bei vielen kurdischen Politikern wie Qazzaz weiterhin das Gefühl tief, der ewige Verlierer zu sein. Daran konnten auch über 10 Jahre eigenständige Regierungspolitik in Kurdistan nur wenig ändern. Deshalb spricht man in Kurdistan derzeit auch weniger über Demokratie als über Wiedergutmachung von historischem Unrecht. Dabei brauchte die Demokratisierung in Kurdistan dringend frischen Schwung, wie Qazzaz einräumt. Bis heute gibt es keine echte Gewaltenteilung, Justiz- und Sicherheitsapparat stehen unter Kontrolle der beiden mächtigen Parteien. Unabhängige Medien fristen allenfalls ein Schattendasein. Hilfe zur Reformierung des Sicherheits- und Justizwesens, wie jetzt in Brüssel beschlossen, sei willkommen, sagt Qazzaz. „Doch zurerst brauchen wir die Garantien für unsere Sicherheit. Der Föderalismus ist dazu das Mindeste.“ INGA ROGG