BETTINA GAUS MACHT : Die Papiere, bitte
Reiche Griechen investieren in London oder Berlin. Die Steuersünder unter ihnen sollte man ordentlich ärgern
Abgestuftes Mitleid ist fast immer unglaubwürdig. Wer unvergleichbare Schicksale miteinander vergleicht, möchte damit meist nur ausdrücken, dass irgendjemand sich nicht so anstellen soll – und will diese Aussage verbrämen. Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds, hat das offenbar gespürt, als sie kürzlich erklärte, sie sorge sich mehr um „die Kinder“ in einem Dorf in Niger als um „die Menschen“ in Athen. Hätte sie zu sagen gewagt, dass sie sich mehr um nigrische Kinder als um griechische Kinder sorgt? Nein, hätte sie nicht.
Christine Lagarde wollte ja auch gar nicht über die prozentuale Zuteilung ihres Mitgefühls reden. Sondern darüber, dass sie findet, die Griechen sollten ihre Steuern zahlen. Das ist ein nachvollziehbares Anliegen. Sie versteckt sich allerdings hinter einem kleinen Wort. Hinter dem Wort: „alle“.
Die Griechen, so meint Lagarde, sollten sich selber helfen, „indem sie alle ihre Steuern bezahlen“. Mit einer so netten, allgemeinen Aussage eckt man nicht an und macht sich nicht einmal in Bankerkreisen unbeliebt. Alle sollen Steuern zahlen. Da wird niemand widersprechen.
Aber in Wahrheit geht es gar nicht um „alle“. Es geht nicht um die Geringverdiener, deren Mindestlohn gekürzt wurde. Es geht nicht um die Alten, die jetzt weniger Rente bekommen. Deren Steuern werden Griechenland nicht sanieren. Wie steht es hingegen mit den Reichen und deren Auslandskonten?
Oh, bitte jetzt nicht dieses mitleidige Lächeln. Nicht das Gerede vom Tropfen auf den heißen Stein. Es gibt ziemlich dicke Tropfen. Mit dem Privatvermögen des ehemaligen zairischen Diktators Mobutu hätte man dem Vernehmen nach die Auslandsschulden seines Landes bezahlen können. In der Gegenwart jubeln Immobilienmakler in London und Berlin darüber, dass Griechen ihr Geld derzeit gerne in Luxuswohnungen anlegen. „Die Reichen ziehen ihr Geld aus Griechenlands Banken ab und sind jetzt den Russen und Arabern auf den Fersen hinsichtlich von Wohnungen im Wert von drei Millionen Pfund oder mehr, die ihnen in der Hauptstadt gehören“, stand in der britischen Sunday Times. Und das ZDF-Wirtschaftsmagazin WISO meldete lapidar: „Wer in Berlin eine Wohnung sucht, muss die Griechen überbieten.“
Mag sein, dass die wohlhabenden Kunden brav jeden Cent versteuert haben. Vielleicht auch nicht. Zu Beginn des Jahres hat die Regierung in Athen eine Liste mit Steuersündern im Netz veröffentlicht, die dem Staat insgesamt rund 15 Milliarden Euro schulden sollen. Griechische Medien schätzen, dass zwischen 200 und 600 Milliarden Euro aus Griechenland auf Auslandskonten lagern. Wie hoch der Anteil an Schwarzgeld ist, weiß niemand. Er dürfte beträchtlich sein.
Und nun? Nun passiert gar nichts. Dabei wäre es relativ einfach, Steuersündern das Leben etwas schwerer zu machen. Zum Beispiel könnte man von Leuten, die anderswo investieren wollen, ein Papier verlangen: eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ihres heimischen Finanzamtes. Das wäre nicht besonders kompliziert und ließe sich sogar europaweit vereinbaren. Man müsste nur wollen.
An alle hinterzogenen Gelder käme man auf diese Weise nicht heran, schon klar. Aber Tropfen fallen ja nicht nur auf heiße Steine. Sondern höhlen sie bekanntlich auch.
■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: Katharina Behling