berliner szenen: Erotik mit Cola am Katzentisch
Sie dachte sich weiter nichts. Die vorbereiteten Sätze hatte Lisa allesamt verworfen. Denken zieht nur weiteres Denken nach sich, dachte sie an diesem Abend im Szenerestaurant, und an Abenden mit dem Ehemann ist Denken nicht immer hilfreich. An ihren geschassten Liebhaber dachte sie ebenso wenig. Sie krempelte die Ärmel hoch, fixierte den ihr Angetrauten, sein Blick wich ihr aus. Sie wollte ihm ein Kompliment machen: Sein spiral gemustertes dunkelblaues Hemd korrespondierte perfekt mit der Augenfarbe. Ließ sie wieder sein.
Vielleicht malte ich mir es auch zu intensiv aus. Ihr Ehemann betrachtete in meiner Fantasie ihren schlanken Hals, die elfenbeinfarbene Haut, ihre pulsierende Halsschlagader. Aber das wurde ihm für den Moment zu erotisch. Also wendete er den Blick aufs Essen. Ein, zwei Kartoffeln, ein Stück Fleisch, Gemüse.
Ich ließ von meinem Katzentisch aus den Blick durchs Lokal schweifen. Es war nicht viel los. Am Nebentisch küssten sich zwei Gepiercte. „Capitalism is organized crime“ stand auf dem T-Shirt einer TV-Produzentin, die sich wie ich eine Cola bestellte. Dann fiel mein Blick zu Lisa zurück. Ihr Mann fühlte sich beobachtet, fraglich nur, von wem. Von seiner Frau, von den anderen im Raum? Oder von mir? Es war, als ob man Operngläser auf ihn richtete. Lorgnons. Am Ende waren es bloß Kontaktlinsen, die auf ihn gerichtet waren. Oder nicht mal das.
Meine Finger hielten ein Glas Cola mit einer auf den Rand gesteckten Zitrone. Während ich mit den Fingerspitzen sanft die Zitronenscheibe rieb, flackerte ein Gedanke an die Deutsch-Russin auf, die mich einmal gestalkt hatte, seit ich mich von ihr loszusagen versuchte. Sie kam nicht von mir los und ich nicht von ihr. War alles nicht so einfach jewesen damals. Aber das ist eine andere Geschichte. René Hamann
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