: Der König geht, die Sozialisten kommen
Bulgariens Monarch Simeon II. hat abgewirtschaftet. Die morgigen Wahlen gewinnen sehr wahrscheinlich die Sozialisten. Die bekennen sich zur Nato-Mitgliedschaft wie zur EU. Auch eine rechte Protestpartei hat Chancen, ins Parlament zu kommen
AUS SOFIA BARBARA OERTEL
„Pobeda, Pobeda (Sieg)!“, skandiert die Menge auf dem zentralen Platz vor der Alexander-Newski-Kathedrale im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Gerade hat der Held des Abends die Bühne betreten: Iwan Kostow. Erinnerungen an den Winter 1996/97 werden wach, als tausende von frierenden und hungernden Bulgaren mit ebenjenem Iwan Kostow an der Spitze nach wochenlangen Demonstrationen die sozialistische Regierung stürzten. Den wirtschaftlichen Reformkurs der Regierung Kostow quittierte die Mehrheit 2001 mit der Abwahl Kostows und der Inthronisierung des 1946 exilierten und inzwischen nach Bulgarien zurückgekehrten Monarchen Simeon II.
Doch jetzt ist Kostow wieder da. Die Menschen schwenken Europa-Fahnen, Fotos ihres Idols und Plakate mit der Aufschrift: „Kostow, wir vertrauen dir, weil du mehr weißt und kannst als die anderen.“ Der Expremier tritt ans Mikrofon: „Wir sind die einzige wahre rechte Partei. Simeon hat die Interessen der Wähler verkauft. Er ist schuld, dass die Exkommunisten durch die Hintertür wieder an die Macht kommen.“ Ein Mann hat sich mühsam bis zur Mitte des Platzes vorgearbeitet. „Kostow war und ist für mich der beste Politiker, denn er hat immer die Wahrheit gesagt.“ Welche Chancen räumt er Kostow ein? „Leider viel schlechtere, als mir lieb wäre.“ Damit dürfte er richtig liegen. Letzte Umfragen sehen Kostows Partei DSB (Demokraten für ein starkes Bulgarien) nur knapp über der 4-Prozent-Hürde
Eindeutiger Favorit bei den morgigen Wahlen sind die Sozialisten (BSP). Sie werden mit bis zu 36 Prozent gehandelt. Das neue Gesicht der Partei, der 39-jährige Chef Sergei Stanischew, lächelt einem dieser Tage siegessicher aus fast jeder Zeitung entgegen. Die heutige BSP habe mit der Partei Mitte der 90er-Jahre kaum noch etwas gemein, erklärt Stanischew und bekennt sich mit Nachdruck zur Nato-Mitgliedschaft und zum bevorstehenden Beitritt zur Europäischen Union. Dass die Sozialisten bemüht sind, ihr Image als Partei der Ruheständler und Ewiggestrigen abzulegen, ist mehrmals pro Tag im Fernsehen zu sehen: Nachdem ein Rentnerehepaar sichtlich erleichtert mit den Worten „Die tun was für uns“ durch einen Park spaziert ist und sich 40-jährige Bauarbeiter über die bevorstehende soziale Gerechtigkeit gefreut haben, verkündet eine junge Frau: „Ich wähle die BSP, weil sie mir einfach gefällt.“
Auf dem zweiten Platz dürfte die Nationale Bewegung von Simeon II. (NDSW) landen, deren Zustimmungswerte bei rund 20 Prozent liegen. Damit bleibt dem König – anders als den meisten Vorgängerregierungen – zwar der totale Absturz erspart. Dennoch machen die Prognosen deutlich, dass sich viele seiner Wähler wieder einmal betrogen fühlen. 2001 hatte Simeon II. noch verkündet, innerhalb von 800 Tagen den Lebensstandard jedes Bulgaren spürbar heben zu wollen. Doch bei Durchschnittsgehältern von 300 Lewa (150 Euro) und Preisen, die sich rasant westeuropäischem Niveau annähern, können die meisten darüber nur müde lächeln.
Außer den Sozialisten und den Königstreuen wird auch die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), die Vertretung der türkischen Minderheit, in der nächsten Volksversammlung wieder präsent sein. Deren langjähriger Chef Achmed Dogan, der auf eine Regierungsbeteiligung dauerabonniert ist und auch dem nächsten Kabinett wieder angehören dürfte, jettet derzeit mit einem Hubschrauber von einer Kundgebung zur anderen. Den Aufwand könnte er sich sparen. „Dogan kann machen, was er will, die Türken wählen ihn sowieso, denn eine andere Vertretung haben sie nicht“, sagt der Sofioter Politologe Iwan Krastew.
Des Weiteren gilt der Einzug der rechten Partei Vereinigte Demokratische Kräfte (ODS, 9 bis 11 Prozent), die mit Kostows ehemaliger Außenministerin Nadeschda Michailowa als Spitzenkandidatin antritt, als sicher. Die ODS wirbt, genauso wie alle anderen Parteien auch, mit dem Slogan „Soziale Sicherheit und Gerechtigkeit für alle“.
„Die Programme und Losungen der Parteien ähneln sich mehr denn je. Alle Parteien bezichtigen sich gegenseitig des Diebstahls von Ideen“, stellte die Tageszeitung Trud (Arbeit) fest. „Das ist ein klares Anzeichen dafür, dass ideologische Unterschiede stark an Bedeutung eingebüßt haben.“
Nicht zuletzt diesem Umstand ist es geschuldet, dass viele Bulgaren am Wahltag gar nicht zur Urne gehen wollen – eine Vorstellung, die der Regierung offensichtlich überhaupt nicht behagt. Deshalb können sich die Wähler erstmals nach erfolgter Stimmabgabe per SMS an einer Tombola beteiligen. Zu gewinnen gibt es Reisen, Autos und Elektrogeräte. 2 Millionen Lewa (1 Million Euro) lässt die NDSW für die Lotterie springen und so mancher fragt sich, ob dieses Geld nicht sinnvoller hätte ausgegeben werden können.
Doch die Tombola ist nicht das einzige Novum bei diesen Wahlen. Zum ersten Mal tritt mit „Ataka“ auch eine radikale Protestpartei an. Unter dem Motto „Geben wir Bulgarien den Bulgaren zurück“ macht Parteichef Wolen Sidorow Stimmung gegen Türken und Roma, propagiert den Nato-Austritt und fordert Nachverhandlungen des EU-Beitrittsvertrages. Noch liegt Ataka in den Umfragen bei 3,9 Prozent, hat aber durchaus Chancen, ins Parlament zu kommen. Für den Soziologen Orlin Spassow steht fest: „Jetzt rächt sich, dass die traditionellen Parteien die Ängste der Menschen nicht ernst genommen und eine Diskussion darüber verweigert haben.“