: Agrarirrsinn auf dem Prüfstand
BRÜSSEL taz ■ Statistiken sind bekanntlich biegsam. Je nachdem, wie man die Zahlen zusammenfasst, kann man sein Publikum schockieren oder gelassenes Achselzucken hervorrufen. Vierzig Milliarden Euro gibt die EU jedes Jahr für Agrarsubventionen aus – das sind mehr als 40 Prozent des gemeinschaftlichen Budgets, das Siebenfache der Forschungsförderung. Schockierend. Doch rechnet man die Zahlungen aus nationalen Haushalten und EU-Budget zusammen, sieht die Sache völlig anders aus. 0,48 Prozent des gemeinschaftlichen Bruttoinlandsprodukts fließen in die Landwirtschaft. 0,86 Prozent – fast doppelt so viel – in Forschung und Entwicklung. Ja, wenn das so ist …
Beide Aussagen stimmen. Das hängt mit der unterschiedlichen Art der Förderung zusammen. Agrarsubventionen werden vollständig aus dem EU-Haushalt bezahlt. Sie kosten den davon profitierenden Mitgliedsstaat kein eigenes Geld. Strukturprogramme, Forschungsförderung oder Zukunftsinvestitionen hingegen werden nur zu einem Teil aus dem EU-Haushalt bestritten. Den Rest muss das Land dazugeben, das sich um Förderung beworben hat. Deshalb ist die europaweit in Forschungsprojekte investierte Summe sehr viel höher als der Betrag, der dafür im EU-Haushalt steht.
Jedes dieser Projekte kostet den Mitgliedsstaat zusätzliches Geld. Das dämpft die Neigung, überflüssige Projekte zu beantragen. Die Forderung, auch in der Landwirtschaft Kofinanzierung zur Regel zu machen und die unsinnige Preisstützung und Förderung von Produktion mittelfristig ganz einzustellen, wird immer wieder erhoben. Sie scheitert bislang am Veto der Nutznießer des Systems, allen voran an Frankreich.
Die nun von Tony Blair losgetretene Grundsatzdebatte hat immerhin den Vorzug, Bauernlobbyisten wie Gerd Sonnleitner ziemlich alt aussehen zu lassen. Wenn er die Privilegien seines Berufsstandes zum einigenden Band der Europapolitik hochstilisiert, dann wirkt das nur noch lächerlich. Doch Angela Merkels Auftritt am Mittwoch vor den Landfrauen in Rostock lässt befürchten, dass sie sich zu der von Blair geforderten Klarheit nicht durchringen kann. Gespart werden müsse bei den Strukturausgaben für Wirtschaftswandel in der Landwirtschaft und nicht bei den Direktzahlungen für die Bauern, sagte sie. Verbraucherschutz-Vorschriften sollten abgebaut werden. Polemisch gefasst: Die CDU möchte mit Steuergeldern Gift im Essen subventionieren. Der Agrarirrsinn soll unter einer schwarzen Bundesregierung munter weitergehen.
DANIELA WEINGÄRTNER