„Trauernde suchen Orte zur Erinnerung“

SEELSORGE Der evangelische Militärdekan Armin Wenzel hält das Ehrenmal für dringend geboten

■ 52 Jahre alt und leitender evangelischer Militärdekan mit Sitz in Kiel. Er war schon häufig in Afghanistan bei den Bundeswehrtruppen.

taz: Herr Wenzel, denken Sie, dass das Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin den Angehörigen der getöteten Soldaten helfen wird?

Armin Wenzel: Das glaube ich auf jeden Fall. Ich halte es für wichtig, dass es einen zentralen Ort gibt, an dem man der gefallenen und getöteten Soldaten nicht nur erinnern kann, sondern an den man auch seine Trauer tragen kann. Die Denkmäler, die sich die Soldaten in Afghanistan schon gebaut haben, sind ja doch nur vorläufige.

Werden Angehörige nach Berlin reisen, um dort in einer Seitenstraße hinterm Ministerium an ihren Sohn, Vater, Mann oder Freund zu denken?

Ich glaube, dass viele sich auf den Weg machen werden, wenn sie wissen, dass der Name dort aufgeschrieben ist. Trauernde suchen Orte, an denen sie sich erinnern können.

Gefällt Ihnen das Ehrenmal?

Ich bin kein hundertprozentiger Vertreter dieses Gebäudes, denke aber, dass es seiner Zielsetzung gerecht wird.

Was gefällt Ihnen nicht?

Es ist eine Mischung aus sakralem und weltlichem Raum. Auch der Architekt hat gesagt, er habe den Raum kirchenähnlich schaffen wollen. Da hätte ich die Grenze doch schärfer gezogen und den Raum lieber weltlich gehabt. Es handelt sich hier um staatliches Gedenken. Kirchliche Räume stehen Trauernden an vielen Orten offen.

Von Bundeswehrangehörigen und Opferfamilien wurde beklagt, dass die deutsche Öffentlichkeit blind gegenüber dem sei, welchen Härten die Soldatinnen und Soldaten sich in Afghanistan stellen müssen. Gilt das noch?

Ja. Immer wenn Afghanistan aus den Schlagzeilen wieder herausfällt, rutscht auch das Thema ganz einfach wieder weg. Bundespräsident Horst Köhler sprach einmal vom „freundlichen Desinteresse“ an der Bundeswehr – ich spreche eher von einer ausgeprägten Gleichgültigkeit.

Müsste angesichts dessen, was am Freitag in Kundus passierte, nicht ganz anderes Gedenken geschaffen werden – eines, das alle Opfer mit einbezieht?

Soldaten gedenken: das Bundeswehr-Ehrenmal soll der Soldaten gedenken, die beim Dienst für die Bundeswehr ums Leben gekommen sind. Es wird am Dienstag in Berlin eingeweiht. Es steht im Bendlerblock, dem Berliner Dienstsitz des Verteidigungsministeriums. Die Zahl der Menschen, die seit Gründung der Bundeswehr in deren Dienst starben, wird mit 3.100 angegeben. Eine zentrale Gedenkstätte gab es bisher nicht. Den Grundstein für das Ehrenmal hatte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) im November 2008 Jahres gelegt.

Soldaten gefallen: Jung sprach erstmals im Oktober 2008 bei einer Trauerfeier für zwei Soldaten, die bei einem Anschlag in Afghanistan getötet wurden, von „gefallenen Soldaten“. Laut Definition können Soldaten nur in einem Krieg fallen. Das Verteidigungsministerium besteht aber darauf, den Einsatz in Afghanistan als „bewaffneten Konflikt“ zu bezeichnen. Die Probleme in der Wortwahl hatten sich auch auf die Diskussion über das Ehrenmal übertragen. Es war lange unklar, wie es gestaltet werden und die Inschrift lauten sollte. Letztlich gewann ein Entwurf des Münchner Architekten Andreas Meck. Die Inschrift lautet: „Den Toten der Bundeswehr – Für Frieden, Recht und Freiheit“. (afp)

Selbstverständlich muss an Opfer beider Seiten gedacht werden. Ich würde dies in jeder Ansprache auch selber tun und gehe davon aus, dass dies auch bei der Einweihung des Ehrenmals stattfinden wird.

Viele sagen, so ein Ehrenmal diene bloß der Remilitarisierung des öffentlichen Raums. Eine Reflexion der Kampfeinsätze finde dort nicht statt, ja werde sogar durch solche Orte verhindert.

Das kann ich nicht so sehen. Ich finde auch nicht, dass eine Instrumentalisierung des Ortes stattfindet, um Debatten zu verhindern. Die Soldaten in Afghanistan erleben ihre Situation dort als Krieg. Sie wollen, dass der Staat und die Gesellschaft das entsprechend würdigen. Über den Sinn des Einsatzes muss und kann an anderen Orten debattiert werden. INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN