: „Tuba, unsere terroristische Kurdin“
PROZESS Vor Gericht wird ein Streit über die Beleidigung einer Muslimin beigelegt
Am Ende des zweistündigen Prozesses waren sich Richterin, Staatsanwalt und Verteidiger einig: Solche Verfahren vergeuden die Ressourcen der Justiz. Mit einem glatten Freispruch wurde gestern vor dem Amtsgericht Tiergarten die Anklage wegen vermeintlicher Beleidigung einer deutschen Muslimin türkischer Herkunft aus der Welt geschafft. Die Klage hatte die Richterin nur zugelassen, um sich und die Justiz nicht dem Vorwurf des Rassismus auszusetzen, wie sie am Ende der Verhandlung eingestand.
Max S., dem 52-jährigen freiberuflichen Dozenten von der Marzahner Bildungseinrichtung „Perform“, wurde vorgeworfen, die Kursteilnehmerin Tuba T. als „türkische Rassistin“ bezeichnet zu haben – weil für sie Frauen, die kein Kopftuch tragen, Nutten seien. Dies habe er in einem klärenden „Krisengespräch“ geäußert.
„Es gibt keine Kurden“
Vor Gericht erklärt der Politologe und erfahrene Familienhelfer, wie es zu den beanstandeten Äußerungen kam. Er habe eine Klasse von angehenden Erzieherinnen unterrichtet und mitbekommen, dass ein Teilnehmer zu der Frau, die ihn später anzeigen sollte, gesagt habe: „Ja, ja, Tuba, unsere terroristische Kurdin.“ Tuba T. solle daraufhin geäußert haben: „Es gibt keine Kurden, es gibt nur Bergtürken.“ Diese Äußerung habe er als rassistisch empfunden und ihr das in jenem „Krisengespräch“ mitgeteilt. Dieses sei anberaumt worden, um gemeinsam mit weiteren Mitarbeitern den Streit beizulegen, der sich zwischen ihm und der 39-jährigen Hebamme entzündet hatte.
Er habe die Frage gestellt, welche Erziehungsstile Verhaltensauffälligkeiten begünstigen würden. Eine Teilnehmerin habe geantwortet, dass diese vor allem bei Kindern auftäten, die zu Hause autoritär erzogen werden. „So wie in vielen türkischen und arabischen Familien?“, habe der Dozent gefragt. „Ich wollte das Bild von Türken und Arabern nicht so stehen lassen“, sagte Tuba T. Ihr Dozent habe jenen Nationen Demokratiefeindlichkeit bescheinigt. Sie dagegen habe „16 Jahre lang in Familien mit verschiedensten Nationalitäten gearbeitet und keine Verbindung zwischen Kultur und Verhaltensstörungen festgestellt“.
Die Trägerin eines Kopftuchs soll zudem einer türkisch aussehenden Teilnehmerin ohne Kopftuch bescheinigt haben, sie sei selbst schuld, wenn sie von muslimischen Jugendlichen angemacht werde. Wegen dieser Äußerungen bat der Dozent sie, den Unterricht zu verlassen. Das empfand sie als ungerecht, auch das „Krisengespräch“ konnte sie nicht besänftigen. Sie wandte sich an die Justiz, obwohl es keinen Zeugen gab, der eine Beleidigung oder üble Nachrede bestätigen konnte.
Im Zeugenstand erklärte sie nun, dass Kurden für sie „keine Bergtürken“, sondern eine Minderheit seien. „Das ist ein erfreulicher Fortschritt“, staunte ihr ehemaliger Dozent.
UTA EISENHARDT