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Archiv-Artikel

Arme können einpacken

Mieterinitiativen fürchten tausende erzwungene Umzüge. Zum 1. Juli entscheiden viele Kommunen, wann Wohnungen zu teuer für ALG II-EmpfängerInnen sind. Städte haben unterschiedliche Richtlinien

VON MIRIAM BUNJES

Die Sozialreform Hartz IV wird in NRW mehrere Tausend zum Auszug aus ihrer Wohnung zwingen. Allein in Wuppertal wohnen nach Behördenansicht 450 Menschen unangemessen teuer. Die Kriterien dafür aber sind von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Viele Kommunen haben zudem auch ein halbes Jahr nach Einführung des Arbeitslosengeld II (ALG II) noch immer nicht beschlossen, auf welcher Grundlage entschieden wird.

In den meisten Städten des Ruhrgebiets soll erst zum 1. Juli eine Entscheidung fallen– in den Hartzgesetzen bleibt die Höhe der Miet- oder Heizkostenerstattung ausdrücklich den Kommunen überlassen, um die regionalen Mietspiegel oder den Energiemarkt angemessen zu berücksichtigen. „Es ist zu befürchten, dass die Zahl der erzwungenen Umzüge in diesem Sommer stark steigt“, sagt Helmut Lierhaus vom Mieterforum Ruhr.

Die Wuppertaler Arbeitsgemeinschaft zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (ARGE) hat die 450 ermittelten ALG II-EmpfängerInnen bereits schriftlich aufgefordert, ihre Wohnungskosten zu senken. „Einige mussten sich eine neue, billigere Wohnung suchen“, sagt Doris Nehls von der ARGE. „In vielen Fällen haben wir aber mit uns reden lassen.“

Die Kaltmiete einer Arbeitslosen darf in Wuppertal für eine 45 Quadratmeter Wohnung nicht über 222 Euro liegen, Heiz- und Wasserkosten zahlt die ARGE, „es sei denn, sie sind übertrieben hoch.“ Wer teurer wohnt, muss eigentlich raus. Diese Regel galt in Wuppertal schon vor Hartz IV für SozialhilfeempfängerInnen. Lediglich die Kostengrenze wird alle zwei Jahre an den Mietspiegel angepasst. Ansonsten gilt der zu Sozialhilfezeiten ermittelte Wohnbedarf: 45 Quadratmeter Wohnraum für Alleinstehende, für jede weiter Person 15 Quadratmeter. Seit Hartz IV werden diese Kriterien einfach auf den größeren Personenkreis der Arbeitslosengeld II-EmpfängerInnen angewandt.

Auch die Stadt Bochum wollte so mit ihren LeistungsempfängerInnen umgehen. Rund 800 MieterInnen wären betroffen gewesen. Seit Wochen mobilisierte der Bochumer Mieterverein gegen die Pläne. Donnerstag nachmittag kippten dann die Vorschläge der Stadtverwaltung: Der Sozialausschuss entschied, „soziale Kriterien“ wie Alter und Familienstand der betroffenen MieterInnen in das Konzept einzuarbeiten und dann nochmal abzustimmen.

Helmut Lierhaus vom Mieterforum Ruhr betreut neben Dortmund, wo offiziell noch keine Entscheidung gefallen ist und entsprechend noch keine Arbeitslosen angeschrieben wurden, auch den Kreis Unna. „Allein in Lünen müssen wahrscheinlich 300 Arbeitslose umziehen“, sagt Lierhaus. Vor allem die kleinen kreisangehörigen Städte gingen rabiat gegen ihre Leistungsempfänger vor, hat der Mieterschützer beobachtet. „Deren finanzielle Probleme sind durch die Arbeitsmarktreformen noch größer geworden, weil sie weniger Synergieeffekte haben.“ Da würden dann die Mieten der Arbeitslosen als ein großes Sparpotenzial angesehen.

Im gesamten Kreis Unna wurden 1.000 Menschen aufgefordert, ihre Mietkosten zu senken. Ebenso wie in Duisburg, wo rund 500 LeistungsempfängerInnen einen erzwungenen Umzug fürchten müssen, haben die Angeschriebenen sechs Monate Zeit, ihre Miete zu senken.

Auch die Stadt Herne will in diesem Sommer ein paar Briefe verschicken. Hier wird es jedoch keine pauschale Entscheidung über Mietpreisgrenzen geben. „Wir werden das von Fall zu Fall entscheiden“, sagt Jutta Daniel, Sprecherin der Stadt Herne. „Wir müssen dabei schließlich auch die Kosten für die Umzüge berechnen und sehen, ob sich das überhaupt für uns lohnt.“

Tatsächlich müssen die Arbeitsgemeinschaften die erzwungenen Umzüge bezahlen und unter Umständen auch die Kosten für eine rudimentäre Ausstattung mit Möbeln. „Schlimmstenfalls kostet so ein Umzug 1.500 Euro“, sagt Doris Nehls von der Wuppertaler ARGE. „Wenn uns jemand überzeugend darlegt, warum er oder sie unbedingt in einer geringfügig teureren Wohnung bleiben muss, lassen wir uns überzeugen“, so Nehls. „Zum Beispiel, wenn in der Nähe wohnende Großeltern so besser die Kinder betreuen können.“