: Spinnwebfeine Töne, leise und zerbrechlich
Der Vorabend des Musikfests Berlin begeisterte mit zwei Streichtrios von Arnold Schönberg und Wolfgang Rihm voller Energie
Von Tim Caspar Boehme
Vorglühen mit Kammermusik. So könnte man den Brauch beim Musikfest Berlin beschreiben, zum Auftakt des Orchesterfestivals zunächst einen Abend in kleiner Besetzung vorzuschicken. Diesen Sonnabend saßen lediglich drei Musiker auf der Bühne des Kammermusiksaals der Philharmonie. Sie ließen allerdings nie den Wunsch aufkommen, es mögen doch ein paar mehr Beteiligte hinzukommen.
Zu hören waren der Geiger Ilya Gringolts, der Bratschist Lawrence Power und der Cellist Nicolas Altstaedt mit zwei Werken des 20. Jahrhunderts, die auf den ersten Blick wenig verbindet. Das Streichtrio von Arnold Schönberg ist ein Spätwerk, 1946 geschrieben, fünf Jahre vor seinem Tod, und folgt der vom Komponisten entwickelten Zwölftontechnik. Wolfgang Rihm schrieb seine „Musik für 3 Streicher“ hingegen mit 25 Jahren und sorgte bei der Uraufführung 1978 für einigen Protest von Avantgarde-Parteigängern, die dessen freien Ansatz, der sich keiner vorherrschenden Strömung verpflichtet sah, als reaktionär ablehnten.
Wenn man die Trios nebeneinander hört, stellen sich erstaunlich viele Verbindungen ein. Zwar ist Schönbergs Musik filigraner und konzentrierter, doch bei aller Modernität hat der „konservative Revolutionär“ durchaus romantische Gesten in seinem Repertoire, und nutzt seinen zerebralen Ansatz für einen sehr persönlichen Ausdruck. Während der Arbeit am Streichtrio erlitt er zudem einen Herzanfall, komponierte zum Teil im Krankenhaus. Ob die Musik von einer Nahtoderfahrung erzählt oder nicht, sie spricht direkt zu einem.
Das tut sie auch bei Rihm, gleichfalls mit gelegentlichen Anleihen bei der Romantik. Er arbeitet, wie Schönberg, passagenweise mit spinnwebfeinen Tönen, die so leise und zerbrechlich sind, dass sie ganz ohne Heftigkeit Spannung erzeugen. An anderer Stelle, und davon gibt es einige, lässt er kräftig und maximal laut schrammen. Fast könnte man meinen, dass es ihm in solchen Momenten weniger um Ausdruck als um unterschiedliche Energiezustände geht. Die sind bei ihm hoch. Und bringen die Instrumente an ihre Grenzen. Die Haare reißen an den Bögen, müssen zwischendurch abgezogen werden, um nicht beim Spiel zu stören. Heavy Metal auf höchstem Niveau.
Musikfest Berlin, bis 19. 9., Philharmonie u. a.
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