spd im wahlkampf : Jetzt kommen die Migranten
Sieh an: In der Krise ist die SPD zu Schritten bereit, denen sie sich lange verweigert hat: Ein Migrant soll für die Sozialdemokraten Bundestagswahlkampf in Kreuzberg machen. Sein Name ist Ahmet Iyidirli, und dass man bislang nichts von ihm hörte, liegt an seiner Partei. Der gehört der Mann, der zum Studium nach Deutschland kam, schon seit 25 Jahren an. Obwohl aktives Parteimitglied, stand er zwei Jahrzehnte stets nur als „internationaler Gast“ auf deren Einladungslisten. Dass Iyidirli es nun tatsächlich bis zum Kandidaten gebracht hat, verdankt er weniger einer neuen Offenheit der SPD als vielmehr seinem Engagement und Durchhaltevermögen. So half Iyidirli maßgeblich beim viel beachteten SPD-Vorstoß für einen verpflichtenden Werteunterricht an Berlins Schulen.
KOMMENTAR VON ADRIENNE WOLTERSDORF
Spannend wird das Rennen zwischen dem türkischdeutschen Sozialdemokraten Iyidirli und dem Grünen-Urgestein Christian Ströbele. Denn die wahlberechtigten Migrantinnen und Migranten dürften ihr Kreuzchen eher dem Türkischstämmigen geben. Sie könnten damit die kleine Prozentlücke schließen, die dem Kreuzberger SPD-Kandidaten 2002 den Einzug ins Parlament vermasselte. Iyidirlis Chancen stehen also nicht schlecht, zumal er in der türkischen Community als „No nonsense“-Mann gilt: erfahren, vernünftig, geduldig. Einer, mit dem man kann. Die Sozialdemokratie hat in der Türkei zudem eine lange Tradition, was hierzulande nicht unbedingt bekannt ist.
Dass in diesem Wahlkampf vorerst mit Iyidirli und Özcan Mutlu von den Grünen gleich zwei Kreuzberger Migranten von ihren Parteien ins Rennen geschickt werden, ist, ganz unabhängig von ihren Erfolgschancen, erfreulich. Spiegelt es doch langsam auf realistische Weise die Zusammensetzung der Berliner Bevölkerung wider – und dass Migranten sehr wohl Verantwortung für ihre zweite Heimat übernehmen wollen.