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Archiv-Artikel

Obama geht in die Offensive

GESUNDHEITSREFORM Der US-Präsident erläutert vor dem Kongress seine Pläne zur Einführung einer staatlichen Krankenversicherung. Darauf warten die Bürger schon

„Ohne eine starke staatliche Komponente werden wir die Reform nicht erreichen“

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Soll es eine staatliche Krankenversicherung geben oder nicht? Am heutigen Mittwoch wird US-Präsident Barack Obama eine entscheidende Rede vor beiden Kammern des Kongresses in Washington zu diesem Thema halten – zur besten Sendezeit. Damit will Obama das außerparlamentarische Sommertheater beenden, bei dem seine Pläne zur Refom des US-Gesundheitswesens gründlich zerpflückt wurden. Mit seinem Auftritt kann, so hoffen Unterstützer, der Präsident für sein wichtigstes innenpolitisches Vorhaben werben und das vom Scheitern bedrohte Billionenprojekt retten.

Obamas engster Berater, David Axelrod, verbreitete am Wochenende Zuversicht. „Die Bürger Amerikas wollen, dass wir es machen, und ich denke, wir kriegen es hin“, sagte Axelrod. Doch viele Kommentatoren sind sich keineswegs so sicher wie Obamas Chefstratege. Wie der einflussreiche konservative Kolumnist Charles Krauthammer von der Washington Post werfen zahlreiche Analysten Obama vor, einen eklatanten taktischen Fehler begangen zu haben.

Anstatt konkret vorzugeben, wie er sich die Gesundheitsreform vorstelle, habe Obama es bis zur Sommerpause drei Komitees des US-Kongresses überlassen, Vorschläge auszuarbeiten. Die republikanische Opposition nutzte daraufhin die Parlamentspause, um mit falschen Fakten auf Graswurzelebene gegen Obamas vage Reformideen zu hetzen. Mitte August meldeten auch einige Parteigenossen Obamas ihre Opposition an.

Unlängst brachten die konservativen Demokraten – im Gegensatz zum von Obama präferierten Modell einer staatlichen Krankenversicherung – ein Genossenschaftsmodell ins Gespräch. Obama verteidigte am Montag bei einem Gewerkschaftstreffen in Ohio seine Idee einer staatlichen Krankenversicherung. Eine staatliche Versicherung könne die Qualität des Gesundheitssystems verbessern und die Kosten senken, erklärte Obama in Cincinnatti.

Doch Obama, der sich gerne pragmatisch gibt, hielt sich ein Hintertürchen offen. „Ich will ein System der Krankenversicherung, das sowohl für das amerikanische Volk als auch für die Versicherungsbranche funktioniert.“ Die Versicherungen müssten Gewinn machen dürfen, sie müssten aber zu ihren Kunden fair sein, forderte er.

Geschätze rund 46 Millionen US-Bürger sind nicht krankenversichert. Existierende Krankenversicherungen sind ausschließlich profitorientierte Unternehmen, die bei der Auswahl ihrer Kundschaft harte Kriterien anlegen. Das US-Gesundheitssystem gilt mit jährlichen Ausgaben in Höhe von 2,5 Billionen Dollar als das teuerste der Welt. Seine Heilerfolge liegen jedoch zum Teil unter dem Durchschnitt von vergleichbaren Industrieländern.

Dass Obama seine Ideen am Mittwochabend gleichzeitig dem Repräsentantenhaus und dem Senat präsentiert, ist ein ungewöhnlicher Schritt. Allerdings steht Obama unter Druck. Seine Umfragewerte sanken in den vergangenen Wochen. Gegenwärtig genießt Obama noch 56 Prozent Zustimmung, im Vergleich zu 57 Prozent Gesamtzustimmung Mitte Juli, mit rund 11 Prozentpunkten Verlusten bei der weißen Wählerschaft.

Nach einem heißen Sommer mit erhitzten Bürgerdebatten, bei denen es zum Teil sogar handgreiflich zuging, wollen die US-Bürger endlich wissen, wie die Gesundheitsreform realisiert werden soll. Springender Punkt wird sein, wie Obama angesichts der Wirtschaftskrise und leerer Staatskassen das Projekt überhaupt finanzieren will.

Unter ernsthaften Druck gerät Obama jedoch erstmalig auch aus den eigenen Reihen: Im Mittelpunkt steht die Frage, ob ein staatliches Versicherungssystem eingeführt werden soll. Eine Gruppe von 83 Abgeordneten der Demokraten schickte kürzlich einen Brief an den Präsidenten. „Ohne eine starke staatliche Komponente werden wir die Reform, die unser Land so verzweifelt braucht, nicht erreichen“, heißt es darin. „Wir können nicht für weniger stimmen.“