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Archiv-Artikel

Restrisiko

Eine Bürgerin erzählt

von GABRIELE GOETTLE

Hohe Energiequanten deformieren die sozialen Beziehungen ebenso unvermeidlich, wie sie das physische Milieu zerstören.

Ivan Illich

Monika Tietke, Biobäuerin i. Landkreis Lüchow-Dannenberg, aktives Mitglied d. „Bäuerlichen Notgemeinschaft gegen Atomanlagen“. Einschulung 1959 i. Weetzen/Hannover, 1964–1969 Realschule u. Abschluss i. Ronnenberg/Hannover. 1969–1972 Ausbildung z. Damenschneiderin i. Modeatelier Whitman i. Hannover, Gesellenprüfung. 1972–1975 Besuch d. Hedwig-Heyl-Fachgymnasiums, Fachabitur. 1975–1976 Studium a. d. Pädagogischen Hochschule Kiel i. d. Fächern Mathematik u. Deutsch, 1976–1980 Studium a. d. Pädagogischen Hochschule und a. d. Freien Universität Berlin, daneben Teilnahme a. Widerstand gegen die geplanten Atomanlagen i. Gorleben, 1979 Teilnahme a. „Gorleben Treck“ nach Hannover zur bis dahin größten Anti-AKW-Demonstration. 1980 Umzug ins Wendland auf d. landwirtschaftlichen Betrieb ihres Mannes. Seither ununterbrochen aktiv im Gorleben-Widerstand, Mitglied d. Bäuerlichen Notgemeinschaft seit 1981. Umstellung d. konventionell wirtschaftenden Betriebes auf ökologischen Anbau. Mitglied bei „Bioland“. 1989 Eröffnung e. Naturkostladens i. Gartow. Monika Tietke wurde 1953 i. Hannover geboren, der Vater ist Schlosser, die Mutter Hausfrau, sie ist seit 1982 verheiratet m. d. Bioland-Bauern Eckhard Tietke u. hat 2 Kinder.

Seit 1953 zum ersten Mal Atomenergie in elektrischen Strom umgewandelt wurde und der amerikanische Präsident Eisenhower das Programm „Atome für den Frieden“ verkündete, verursacht diese als Segen für die Menschheit gefeierte Energiegewinnungsmethode eine Vielzahl von Störfällen und Unfällen aller Schweregrade, bis hin zum Super-Gau im April 1986 in Tschernobyl. Über die Zahl der Krankheitsfälle und Todesopfer, die billigend in Kauf genommen werden, streiten sich die Statistiker, während die Betroffenen elend zugrunde gehen. Die „friedliche Anwendung der Atomenergie“ hatte von Anfang an die Rolle einer ehrenwerten Anstandsdame zu spielen, während im Hintergrund das unfriedliche Geschäft weiterbetrieben wurde und immense Summen in die Erforschung, Testung und Entwicklung immer neuer Waffen und Waffensysteme investiert wurde.

Die Antiatombewegung – der älteste politische Widerstand in der BRD – hat erst in den 70er-Jahren, als die Atomkraftwerke in großem Maßstab konzipiert und gebaut wurden, so richtig realisiert, dass es sich hier um ein und dasselbe Problem handelt. Unter den Marschierern „gegen den Atomtod“ (von SPD und Gewerkschaften 1958 organisiert) und den Teilnehmern der Ostermärsche, die in den 60er-Jahren gegen eine militärische Nutzung protestierten, herrschte durchaus noch eine positive Einstellung zur „zivilen Nutzung der Kernenergie“. Durch die Großaktion gegen das AKW Brokdorf im Herbst 1976, bei denen der Atomstaat zum ersten Mal seine polizeistaatlichen Krallen zeigte, entstanden rasch regionale und überregionale Widerstandsgruppen.

2005 ist Deutschland der viertgrößte Atomstromproduzent der Welt. Whyl, Brokdorf, Kalkar, Wackersdorf, diese und andere Namen scheinen heute beinahe vergessen, nur Gorleben „lebt“ noch und verdankt das den seit 1995 stattfindenden Castor-Transporten. Bereits 1977 regte sich heftiger Widerstand, als der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht bekannt gab, dass in Gorleben ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ gebaut wird, die weltgrößte Wiederaufarbeitungsanlage, samt Endlager im Salzstock. Die Wahl des Standortes war zugleich eine politische Antwort auf das zentrale DDR-Atommüll-Endlager Morsleben bei Helmstedt. Inzwischen grenzenlos, arbeitet sich bereits die dritte Generation ab im Widerstand gegen die exekutiven und judikativen Einschüchterungs- und Disziplinierungsmaßnahmen durch Politik und Atomindustrie. Teilweise erfolgreich. Verhindert wurde die WAA. Zum Stillstand gebracht wurde das Endlagerprojekt (die Bohrungen ruhen seit 2000), aber die rot-grüne Regierung hat keinen Riegel davorgeschoben, so dass bei einem Regierungswechsel, zu dem es demnächst möglicherweise kommt, wieder alle Optionen offen sind.

In Gorleben gibt es heute ein Fasslager für schwach und mittelradioaktive Abfälle, die Castorhalle zur sog. Zwischenlagerung hoch radioaktiver/heißer Abfälle aus den Plutoniumfabriken La Hague, Frankreich, und Sellafield, Großbritannien (die nur in Gorleben gelagert werden dürfen). Und es gibt eine bislang noch ungenutzte sog. Pilot-Konditionierungsanlage. Sie ist technisch ausgerüstet zur Umfüllung des hoch radioaktiven Inhalts der Castorbehälter in Pollux-Behälter für die Endlagerung. Nur, es gibt weltweit noch kein Endlager, obwohl seit mehr als 60 Jahren Atommüll produziert wird.

Das Wendland mit dem ehemaligen Elbfischerdorf Gorleben lag einst, als „Armenhaus der Nation“, quasi fast in der DDR. Zwei Drittel des Landkreises Lüchow-Dannenberg waren vom Hochsicherheitsgrenzstreifen umgeben. Abseits der Hauptverkehrswege liegend, dünn besiedelt, mit einem großen Salzstock versehen und mit vorwiegendem Westwind, galt das Gebiet unter den Interessenten als ausgesprochen „störfallfreundlich“.

Der Fall der Grenze hat nicht viel geändert. Sogar die Idylle ist geblieben. Es gibt weite Elbauen und Weiden, überschaubare Felder. Und Wälder, in denen nicht nur Schnittholz herumsteht, sondern richtig ehrwürdige alte Eichen überleben dürfen. Die Dörfer fallen nicht nur durch schöne alte Gebäude aus rotem Backstein oder Fachwerk auf, sondern auch durch die aufgenagelten, teils gelb gestrichenen, teils abgeblätterten x-förmigen Latten, das Zeichen des Gorleben-Widerstandes. Auch Monika Tietke lebt auf einem solchen Hof, es ist einer von den großen alten Gehöften, wie man sie hier sieht. Sie scheinen mitten auf dem Gras zu stehen, so nah darf es bis ans Haus heran, es gibt nicht diese Trennung zum Garten hin. Hollunder, alte Bäume, Blumenpracht und Hecken gehen ganz natürlich ineinander über. Das alles zu pflegen, statt sich der Dekoware von Bau- und Gartenmärkten zu bedienen, erfordert Geduld und Zeit. Die werden in der Regel aufgebracht von den Alten, mit denen man hier immer noch unter einem Dach lebt.

Monika Tietke führt uns in die wohnlich umgebaute ehemalige Futterküche, wir nehmen um den Esstisch herum Platz, ein paar Stufen führen hinauf zu einem offenen Raum mit Bücherregalen, Aquarellen von Sommerblumen hängen an der Wand, die Zeit scheint ein wenig stehen geblieben.

„Sie kommen ja grade richtig, wir haben hier einen traurigen Jahrestag, den 25. Jahrestag zum Ende der ‚Freien Republik Wendland‘. Am 4. Juni 1980 wurde da mit dem größten Polizeieinsatz in der Nachkriegsgeschichte das gesamte Hüttendorf der AKW-Gegner niedergeknüppelt und dem Erdboden gleichgemacht. Die ‚Freie Republik Wendland‘ war ja errichtet von uns auf der Bohrstelle 1004. Das war eine Besetzung. Tausende waren dort. Es gab einen eigenen Pass und Radiosender, die verschiedensten Hütten, Küchen, Sauna, Theater, ein großes Freundschaftshaus, Wachtürme, Spielplätze für die Kinder. Es kamen Künstler und auch Politiker hin, es gab viele Diskussionen und auch Debatten zur Frage der Militanz. Die Mehrheit war für ausschließlich passiven Widerstand. Das war sehr lebendig und fantasievoll damals, und die Brutalität auf die das stieß, die war absolut erschreckend und deprimierend.

Ich bin ja hier eine ‚Zugereiste‘. Ich war zum ersten Mal 1978 hier mit einem Freund und war sofort in den Bann dieses Landkreises gezogen. Wir haben teilgenommen an dem ersten großen Sommercamp auf dem Schützenplatz, da kamen viele Auswärtige zusammen, die wollten den Widerstand hier unterstützen. Unter anderem habe ich damals Robert Jungk kennengelernt, den Zukunftsforscher, der ja schon in den 50er-Jahren ein Atomkritiker war. Er hat für uns Vorträge gehalten, und ich war tief beeindruckt. Also das hat mich damals – in anderen Kreisen hätte man gesagt – das hat mich ‚politisiert‘! Und ich habe dann angefangen, mich mit der ganzen Thematik intensiv zu befassen. Und je mehr ich darüber wusste, um so weniger konnte ich verstehen, dass Politiker so blauäugig sein konnten.

Ich hatte natürlich schon einige Erfahrungen, ich war ja ein Kind der 68er. In Hannover hatte es diese Demonstrationen gegen die Verkehrsbetriebe gegeben, gegen die Preiserhöhung, und die ‚Rote-Punkt-Aktion‘ wurde ins Leben gerufen. ‚Bürger nehmen Bürger mit‘, im Auto. Wer einen roten Punkt vorn auf der Autoscheibe kleben hatte, der nahm andere mit, das hat sich lange gehalten und war in Berlin und der ganzen BRD im Gebrauch. Ich hatte das schon so ein bisschen in meinem Bewusstsein, das Aufbegehren. Und bin dann auch mit dabei gewesen beim Bauerntreck nach Hannover, im März 1979.

Das war ein enorm großer Zug von Traktoren, die sich überall angeschlossen haben und nach sechs Tagen in Hannover ankamen. Alle hatten Schilder und Transparente drauf, und in Hannover, da warteten schon 150.000. Das war eine wahnsinnig große Kundgebung, und da waren eben viele Leute, auch alte Bürger, die man sonst nie auf der Straße gesehen hat. Es war so eine wunderbare Stimmung, alles war so ermutigend auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite war ja am 28. März der Reaktorunfall in Amerika, in Harrisburg, und hat die Diskussionen natürlich sehr angeheizt.

1980 bin ich dann ganz hierher gezogen in den Landkreis, hab dann halt auch in den ganzen Widerstandsgeschichten meinen Mann kennengelernt. Er kommt hier von dem Hof, der wird schon in der siebten Generation von der Familie Tietke bewirtschaftet. Mein Mann ist natürlich in der ‚Bäuerlichen Notgemeinschaft‘, ich bin auch gleich am Anfang mit dazugekommen – gegründet wurde die, glaube ich, 1977. Erst mal hatte die Notgemeinschaft das Ziel, die WAA zu verhindern. Die Bauern haben dann aber sehr schnell begriffen, dass es um eine noch sehr viel größere, prinzipiellere Gefahr geht, und dass es technisch nicht möglich ist, den strahlenden Müll irgendwo sicher endzulagern. Damals haben viele Bauern hier unterschrieben – manche wollen davon heute nichts mehr wissen –, aber viele sind sich treu geblieben. Damals war das alles ganz ungewöhnlich, außerhalb des Landvolkes gab es nichts. Keine Vertretung politischer Art. Man war in der Partei, und da waren damals so schätzungsweise 90 bis 95 Prozent in der CDU. Wer hier in der SPD war, der hat das geheim gehalten. Die Grünen waren ja noch kein Thema, die haben sich ja erst 1980 gegründet … aber die haben uns auch nichts gebracht, außer Enttäuschungen!

Also dass so viele der ‚Bäuerlichen Notgemeinschaft‘ beigetreten sind, das war auch sehr der Undine von Blottnitz zu verdanken, sie war Gründungsmitglied, hat auch längere Zeit dann später für die Grünen im Europaparlament gesessen. Sie ist mein großes Vorbild, leider ist sie gestorben. Sie ist die tollste Frau, die ich kenne – und diese Frau haben die Grünen auf dem Gewissen … aber das gehört nicht hierher, denke ich. Jedenfalls hat sie den ganzen Papierkram für die Notgemeinschaft über viele Jahre gemacht, den hat sie vor ihrem Tod mir anvertraut und gesagt, ich muss das jetzt machen und mich kümmern, das musste ich ihr versprechen. Und ich tu’s in ihrem Sinne. Das schönste Kompliment ist, wenn jemand sagt, ich wäre ja noch schlimmer als die Undine. Sie sehen, die Notgemeinschaft lebt, in ruhigen Zeiten sind es so um die 40 Bauern und Bäurinnen, die sich sporadisch treffen, und zur Zeit der Castor-Transporte, da kommen dann hunderte zu den Treffen, auch aus Lüneburg. Und da gibt’s eben diese wunderbare Solidarität, auch von außerhalb, z. B. durch die ‚Solidar-Aktie‘, aus diesem Solidarfonds können wir die Schäden bezahlen, die uns die Polizei regelmäßig und absichtlich zufügt, indem sie am Trecker die Scheiben einschlagen oder die Reifen zerstechen, da sind regelrechte Messerstecher-Einheiten am Werk, und so ein Treckerreifen kostet schon so um die 500 Euro.“

Sie schenkt uns Kaffee nach und fährt fort: „Also für die bäuerlichen Betriebe ist jeder Einsatz mit ihren Traktoren bei den Widerstandsaktionen ein Risiko, das sogar empfindlich an die Existenz gehen kann, das ist ja unser Arbeitsgerät. Und so ein Traktor der Mittelklasse, der kostet mehr als ein Luxusauto, der kostet leicht 60.000 Euro. Aber unsere Existenz ist noch mehr gefährdet durch das, was hier praktiziert wird. Denn wer will denn Nahrungsmittel kaufen aus einer radioaktiv belasteten Region, wenn mal was passiert?! Wir leben hier von der Landwirtschaft. Aber wir schauen nicht nur auf uns! Wir wissen sehr genau, dass das kein Problem nur von Lüchow-Dannenberg ist, sondern ein ungelöstes und womöglich unlösbares Problem weltweit, mit dem die Atomindustrie und die Politiker vollkommen verantwortungslos umgehen. Es gibt bis heute kein Gesetz zur Endlagerung, wenn man sich das überlegt, dass die Politiker das über viele Jahrzehnte schon verschleppen, dann macht das auch noch mal diese Verantwortungslosigkeit sehr deutlich.

Ich habe das mal direkt erlebt, das war so 1982 rum, die Bürgerinitiative hatte von Plänen erfahren, die WAA nun in Dragahn statt in Gorleben zu bauen – das ist etwa 40 Kilometer von hier weg. Und da gab’s eine Rieseninformationsveranstaltung, bei der auch der Herr von Bülow war, damals noch in seiner Eigenschaft als Bundesminister für Forschung und Technologie“ (das ehemalige Ministerium für Atomfragen, vom Atomminister Franz Josef Strauß. Anm. G. G.). „Und dieser Herr von Bülow hat vor 1.000 Leuten auf die Frage, wie er denn damit umgeht, wenn hier in 15 oder 20 Jahren tatsächlich was passiert mit dieser Anlage, Folgendes gesagt: Ja wieso, da ist meine Amtszeit doch zu Ende, da übernehme ich doch keine Verantwortung mehr! Damals wusste man schon von den Störfällen in den WAAs in La Hague und besonders in Windscale in England, das man deshalb in Sellafield umbenannte, um das vergessen zu machen.

Eine WAA gibt das Tausendfache von dem ab, was ein AKW bereits im Normalbetrieb an Radioaktivität an die Umwelt abgibt, aber das stört einen Bundesforschungsminister ja nicht. Man hätte ihn windelweich prügeln müssen, aber Gewalt lehnen wir ja ab. So gab es nur ein langes Pfeifkonzert. Der nächste WAA-Standort, nachdem er in Dragahn auch nicht durchsetzbar war, war ja dann Wackersdorf … aber auch dort war’s politisch nicht durchsetzbar!

Ein anderes Beispiel ist Morsleben. Bei Helmstedt liegt das. Es war das ‚zentrale DDR-Endlager für radioaktive Abfälle‘ und in den Einigungsvertrag wurde die DDR-Betriebsgenehmigung mit übernommen und Endlagerung von schwach- und mittelaktivem Müll für weitere zehn Jahre ermöglicht. Angelika Merkel hat in den 90er-Jahren, in ihrer Zeit als Bundesumweltministerin (Bundesamt f. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU. Gegründet 1986 nach Tschernobyl. Minister: Wallmann, Töpfer, Merkel, alle CDU, ab 98 Trittin, Bündnis 90/Die Grünen. Anm. G. G.), bedenken Sie mal, die Frau ist promovierte Physikerin, und sie hat damals quasi garantiert, Morsleben sei ‚10.000 Jahre sicher‘. Sie gab eine Verlängerung der Genehmigung bis 2005.

2001 löste sich ein mehrere tausend Tonnen schwerer Salzblock von der Grubendecke, und es war nur ein glücklicher Zufall, dass er keine Behälter getroffen hat. Bürgerinitiativen und Greenpeace mussten per Gerichtsbeschluss den Betriebsstopp erwirken, bis heute wird ‚stillgelegt‘, ohne dass was passiert. Und dieselbe Frau Merkel verspricht nun, dass, wenn sie Bundeskanzlerin wird, die Förderung alternativer Energien zurückgefahren und die Atomenergie hoch gefahren wird. Wir stellen uns hier darauf ein!“

Wir machen eine kurze Pause. Sie bringt zwei widerspenstige Pferde auf die Weide, wir betrachten die geradezu südländisch strotzenden Blumen und Kletterpflanzen in Hof und Garten, die von der Schwiegermutter hingebungsvoll gepflegt werden. „Ich will vielleicht kurz noch mal die Anfänge etwas deutlicher machen, damit auch die Jungen sehen, wie das hier mit uns gemacht wurde. Die ‚Deutsche Ges. z. Bau u. Betrieb v. Endlagern f. Abfallstoffe‘ brauchte ja zwölf Hektar Land. Bevor die Aufkäufer hier aufkreuzten, hat es damals an insgesamt drei Stellen größere Waldbrände gegeben, zufällig genau an denen, die dann zur Debatte standen. So, einige Bauern haben damals verkauft, es wurden vier- bis achtfach überhöhte Preise geboten für schlechtestes Land, das zudem abgebrannt war und auf eigene Kosten wieder hätte aufgeforstet werden müssen. Viele Bauern aber haben widerstanden, und auch Graf Bernstorff, der hier ansässig ist und Grundbesitz hat, weigerte sich kategorisch und ist bis heute einer unserer unerbittlichsten Kämpfer.

Na, jedenfalls wurde dann zum Glück die WAA abgeblasen, wir hatten in diesem Punkt gesiegt, aber sie hatten ja jetzt das Gelände. Und dann ging’s um die Zwischenlagergenehmigung. Durch den Landgemeinderat musste abgestimmt werden. Und da hatten die Mitglieder ein Schriftstück von 1.200 Seiten zu lesen vorher, um sich sachkundig zu machen. Also das übersteigt die Kapazität von jedem, besonders aber von Bauern, die morgens um vier aufstehen zum Melken und um elf in der Nacht ins Bett gehen. Die Mehrheit hat einfach zugestimmt. Das war 1981. Hier im Landkreis brannte natürlich die Luft. Das war extrem, diese Feindschaft, die plötzlich ausgebrochen war, bis hin zu Schlägereien.

Wir haben damals gesagt, die einzige Möglichkeit, die wir jetzt noch haben – denn Argumente scheinen nichts zu bewirken –, ist, dass wir es Politik und Betreibern so schwer wie nur möglich machen. Das ist ja bis heute unsere Prämisse. Und als das Zwischenlager genehmigt war, da gab es ja dann weitere ‚Probebohrungen‘. 1001, 1002, 1003, und um jede Tiefbohrstelle gab es Kämpfe, bis hin, dass Bauern nachts Jauche reingepumpt haben. Und dann kam 1004. Von der Besetzung dieser Bohrstelle habe ich vorhin am Anfang erzählt, darauf wurde ja die ‚Freie Republik Wendland‘ errichtet.

Unser jetziger Bundeskanzler Schröder, er war damals Jusovorsitzender, hat dort auch mitgemischt. Er hat die Bewegung unterstützt. Er hat z. B. auch den Cousin meines Mannes verteidigt als Anwalt, wir haben mit ihm schon Prozesserfolge im Nachbarkrug gefeiert, er hat ein Feriendomizil hier und erinnert sich vielleicht gern an seine andere Zeit. Er mag den Landkreis und kennt hier viele Bauern. Als er dann Bundeskanzler war, hat er zu verstehen gegeben, ihr könnt gern zu mir nach Berlin kommen ins Kanzleramt, wir können fressen und saufen, aber bitte, keine Politik!

Zu den Probebohrungen gibt es auch noch eine sehr interessante Geschichte, die zeigt, mit welcher Unverschämtheit wir hier verschaukelt werden. 1981 wurde ja der erste Schacht abgetäuft, im September. Im Juni saß der Hamburger Geschichtsprofessor Helmut Bley im Intercity-Speisewagen und hat zufällig eine lautstarke Unterhaltung zwischen mehreren Herren gehört. Einer war ein Ministerialbeamter von der Genehmigungsbehörde, ein anderer war der Leiter der Abteilung ‚Sicherstellung und Endlagerung‘ bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Das stellte sich aber erst später heraus. Und bei dem Gespräch ging es also darum, ob man den Erkundungsstollen, der maximal einen Durchmesser von 3,50 Meter haben darf, ob der nicht gleich 7,50 Meter Durchmesser bekommen soll, denn so breit muss ja der Stollen sein, um die Endlagerbehälter da nachher runterzukriegen. Das sind exakt die Endlagermaße. Die Herren haben ein bisschen rumgeredet, ob man das wohl durchsetzen kann usw. Gebohrt wurden dann, glaube ich, 7,80 Meter! Das zeigt uns, dass die es ernst meinen mit ihren Absichten und sicher sind, dass die Standortfrage entschieden ist.

Ich war da ja jetzt mit unten im Gorlebener Salzstock, im Zusammenhang mit dieser HA-Schult-Aktion, die sozusagen eine ernsthafte Aktionskunstsache war zu diesem Problem, und da konnte man sich das unten angucken, mit Führungen. Und das war schon gigantisch, was da gebaut wurde – unterirdisch und oberirdisch. Also das ist kein Erkundungsbergwerk, das Ding ist fertig! Das ist eine komplette unterirdische und oberirdische Anlage fürs Endlager. Es sind ja schon, ich glaube, 1,3 Milliarden Euro in die ganze Anlage reingeflossen, spätestens bis 2030 muss ein Endlager her für hoch radioaktive Abfälle. Da lassen sich alle Zeit. Irgendwann, so hofft man anscheinend, wird der Widerstand ermüden, wird man vergessen, dass es bereits einen toten Arbeiter gab beim Abtäufen des Schachtes. Beton haben sie reingekippt, weil ihnen das zusammenzubrechen drohte, und gegen den Grundwassereintritt muss die Außenhülle tiefgefroren werden mit Riesenaggregaten, mit einer Leistung von 50.000 Kühlschränken, mit Strom aus der Steckdose.

Zahlreiche Gutachten seit 1977 haben eindeutig nachgewiesen, dass der Salzstock vollkommen ungeeignet ist, weil er nicht mal das Mindestkriterium – geschlossenes, durchgehendes Deckgebirge – aufweist, das zur Abschirmung notwendig ist. Verlangt wird ja Abschirmung von der Biosphäre für, ich glaube, eine Million Jahre. Na! Sie waren ja nicht mal fähig, den Fußboden in der Zwischenlagerhalle richtig zu berechnen. Da sind die mit dem Castor drübergefahren, und krkrkrkr… ging’s, und sie mussten die ganze Halle neu betonieren. Oder sie hatten eine zu kleine Schiebetür eingebaut und kriegten ihren ersten Castor gar nicht rein usw. Und da wollen sie über unvorstellbare Zeiträume verbindliche Zusagen machen?!

Zehn bis elf Jahre konnten wir die Nutzung des Zwischenlagers verhindern. Am 25. April 1995 kam dann der erste Castor-Transport nach Gorleben, einen Tag vor dem 9. Jahrestag von Tschernobyl! Und da hat Angela Merkel wieder was sehr Aufschlussreiches gesagt. Angesprochen auf die riskanten Verladepraktiken antwortete sie: ‚… beim Kuchenbacken geht auch mal ein bisschen Backpulver verloren.‘ Da weiß man nicht mehr …“

Das Handy gibt jubelartige Töne von sich. Frau Tietke lächelt und sagt: „Komisch, das ist eine Castor-SMS mit Infos über den Stand der Dinge, es finden ja grade drei Castor-Transporte vom Forschungsreaktor Dresden-Rossendorf ins Zwischenlager nach Ahaus statt, 60 Stunden Fahrt. Da wird natürlich blockiert und demonstriert, der Widerstand ist überall! Sehen Sie, an solche Kommunikationsmittel war ja früher nicht zu denken. Aber wir haben trotzdem Wege gefunden, uns zu vernetzen bei den Aktionen. Bei uns hier findet die sog. ‚Grüne Woche‘ immer im Herbst statt. Für uns Bauern heißt das, die Herbstbestellung ist dann abgeschlossen, Kartoffeln sind eh raus, das Einzige, was noch ansteht, sind Rüben, die müssen aus der Erde raus und in die Zuckerfabrik gebracht werden. Die Zeit ist relativ günstig, aber es bleibt natürlich noch genug Arbeit liegen.

Früher, als hier andauernd was war, da haben mein Mann und ich z. B. oft dermaßen unsere Arbeit vernachlässigt, dass es Krach gab mit den Schwiegereltern. Also, wir kennen das Procedere heute auswendig, obwohl die Auflagen, die man uns macht, z. B. Demonstrationsverbot, Beherbungsverbot usw. immer schärfer werden. Das Neueste aus dem niedersächsischen Innenministerium. Wer sich in Gorleben ankettet, hat mit Gentests zu rechnen! Das ist die Antwort, die sie gefunden haben auf den tödlichen Unfall eines jungen französischen Castor-Gegners im Herbst 2004. Der hatte sich in Lothringen am Gleis angekettet und ist vom Zug überrollt worden. Es war in einer Kurve, der Zug ist viel zu schnell gefahren, der Beobachtungshubschrauber war zum Tanken.

Also dass dieser junge Mensch, der Sébastian Briat, sterben musste – er ist so alt wie mein Sohn – das hat mich zutiefst berührt, berührt mich immer noch. Und es ist wirklich eine Tragik, dass er unseren deutschen Atommüll blockiert hat, der aus der WAA La Hague kam. Aber damit hat er zugleich ein Prinzip der großen Widerstandsbewegung gezeigt: Es geht uns nicht um ein regionales Problem, um kein nur nationales, es geht uns um die Beendigung jeglicher Atomtechnik, egal ob militärisch oder zivil, weltweit. Das möchten wir wirklich dick mit Rot unterstreichen!

Die verschiedenen Widerstandsgruppen haben dann damals beschlossen – trotz oder wegen dieses Todes – weiterzumachen mit den Aktionen. Es wurden dann auch sehr viele schwarze Xse verwendet neben den gelben, um die Trauer auch damit zu dokumentieren!“

Wir fragen nach der Herkunft dieses Widerstandssymbols.

„Das kam so, dass ja der Transporttermin immer so lange wie möglich geheim gehalten wurde und wird, und da hat man gesagt, wir mobilisieren für den Tag X. So war es plakatiert, so war es im Umlauf, und so wurde das gelbe X zum Widerstandssymbol. Das gibt’s inzwischen sogar in Silber, mit Brillis besetzt. Andere haben ein X im Nummernschild oder ein kleines gelbes am Spiegel hängen. Aber das Wesentliche ist, es ist bekannt, und man kann es überall schnell zusammenbasteln, mit Stöcken im Wald, mit Eisenbahnschienen, mit allem. Und diese Xse hier an den Fenstern, die zeigen allen, wenn wieder ein Castor-Transport ansteht, hier könnt ihr klingeln, hier werdet ihr aufgenommen. Das sind so selbstverständliche Formen, die sich hier über lange Zeit entwickelt haben.

Und wie es aussieht, wird das auch so bleiben. Die Castor-Transporte werden uns weiterbeschäftigen, auf unabsehbare Zeit, denn Rot-Grün hat ja den versprochenen Atomausstieg nicht hingekriegt, der Atomkonsens ist ja eine reine Schwindelpackung, die Reststrommengen sind zu hoch, und die Urananreicherungsanlage Gronau z. B. wurde nach dem Atomkonsens ausgebaut usw. Diese Atompolitik orientiert sich nicht an Ökologie und Strahlenschutz, sondern an den Interessen der Stromwirtschaft. In dem Bereich wird es uns unter einer CDU-Regierung fast besser gehen, weil Rot-Grün dann wieder in die Opposition gezwungen wird. Und eine starke politische Opposition ist auch ein starkes Sprachrohr!

Denn was jetzt läuft, ist ja unmöglich. Diese unsinnigen Atommülltransporte müssen aufhören, Verträge hin, Verträge her! Der sicherste Platz ist in unseren Atomkraftwerken, wenn sie abgeschaltet werden. Statt dessen produzieren wir in Deutschland jährlich weiterhin 20.000 Tonnen Atommüll, bringen ihn ins Ausland und holen ihn wieder zurück. Dort zerlegen sie die Dinger lediglich für eine Endlagerung, die noch kein Mensch kennt! Und man würde ja denken, dadurch wird’s weniger, aber wir bekommen die 14-fache Menge von dem wieder, was wir hingebracht haben, alles was beim Zerlegen verseucht wurde. Und das alles geht nach Gorleben. So ein Castor-Behälter wird herumtransportiert über große Strecken, im Dannenberger Bahnhof auf Tieflader umgeladen, hierher gefahren, die Polizisten, die ihn ‚schützen‘ mit ihrem Körper, werden ständig ausgewechselt wegen der Strahlung. Das radioaktive Potenzial in einem einzigen Castor-Behälter entspricht der Radioaktivität von bis zu 40 Hiroshima-Bomben – also jetzt nicht der Sprengkraft und so, sondern quasi dem Fallout, dem radioaktive Niederschlag nach einem schweren Unfall. Ein ganz leichter wäre auch schon eine schwere Katastrophe.

Diese ganzen Behälter, die stehen hier in einer Leichtbauhalle rum, strahlen Hitze ab. Unsere Kartoffelknollen sind besser geschützt! Es gibt in der Halle keinen Filter, keine Abschirmung. Nur Lüftungsschlitze, um die Wärme abzuführen. Und irgendwo gibt’s ein Strahlenmessgerät.

Gorleben ist nach wie vor Dreh- und Angelpunkt für den Entsorgungsnachweis. Trittin sagte, auf Drängen, es soll ein ‚Endlagersuchgesetz‘ verabschiedet werden, wo alles klargelegt wird: was, wie, wann, wo. Die Suche nach dem Endlagersuchgesetz dauert jetzt schon zwei Jahre. Nichts tut sich! Pause. Schweigen! Für uns alle wäre es nämlich ganz wichtig, dass noch vor dem 18. September – wenn’s denn Neuwahlen gibt, was sehr wahrscheinlich ist – ein solches Gesetz verabschiedet wird. Aber damit ist natürlich nicht zu rechnen, da sind die bürokratischen Hürden, da ist die Sommerpause, da ist die Feigheit.

Das alles über so lange Zeit auszuhalten, unter wechselnden Regierungen, und nicht aufzugeben oder richtig durchzudrehen, das ist bestimmt nicht einfach. Meine Schwiegermutter, die über 80 ist, eine sehr besonnene Frau und frühere CDU-Wählerin, wie alle hier, die hat kürzlich gesagt: ‚Da hilft alles nichts mehr, da müsst ihr mal eine Bombe reinschmeißen.‘“