piwik no script img

Archiv-Artikel

Auszug aus dem Paradies

Der diesjährige Christopher Street Day in Berlin war mehr als eine karnevaleske Party. Die Paradeder Schwulen und Lesben beinhaltete wieder eine politische Geste: internationale Solidarität

VON JAN FEDDERSEN

War ja eigentlich wie immer. 25.000 Männer und Frauen gehen am letzten Samstag im Juni durch Berlin und nennen das Christopher-Street-Parade, kurz: CSD. An den Straßenrändern werden sie, Schwule, Lesben und ihre FreundInnen, von 400.000 Menschen beklatscht, beguckt und bestaunt – ob heimlich sympathisierend oder angewidert. Das Unterfangen soll, erstens, an die Krawalle im Juni 1969 in und vor der New Yorker Kneipe „Stonewall“ erinnern; dort wehrten sich homosexuelle Barbesucher gegen Schutzgeld erpressende Polizisten.

Zweitens ist ein CSD, und zwar wo auch immer, eine karnevaleske Party. Denn das ist Selbstbehauptungsthese der Regenbogen-Community gegen das heterosexuell Konventionelle: Wir lassen uns nicht unterkriegen.

So war es auch Sonnabend in Berlin, so wird es kommendes Wochenende in Köln sein – und manche mögen darin eine entpolitisierte, durchkommerzialisierte Geschichte entdecken: Nichts als Tanz auf dem Vulkan. Kein Sinn für die Bedrohung nirgends. Doch die Homosexuellenbewegung macht die gleiche Entwicklung durch wie die Grünen: Man kam aus dem Paradies, dem Zustand gerechten Zorns und Opposition, und lebt nach all den Jahren ein kompromissbedrängtes Leben, in der Zivilisation, wenn man so will.

Verlorenes Paradies

Die Grünen trauern um ihre unwiederbringliche Bürgerinitiativenvergangenheit; die Regenbogenbewegung, am Anfang umgeben von vielen Feinden, traut dem dünnen Eis der politischen Mitte nicht. Wo bleibt der moralische Anspruch, sich für subversiv qua Sexualität zu halten?

Die letzten Aufrechten trafen sich in Kreuzberg, im Dorf quasi, jenseits vom mächtigen CSD an der Siegessäule in Blickweite zum Regierungsviertel: Die alten Zeiten, als man noch unter sich war, alles ein alternatives Dorf, alle im Grunde einer Meinung … passé. Die Kindheit, der politische Anfang, liegt weit zurück, die Bewegung ist erwachsen geworden und musste es auch werden – und das ist für jedes Bewegungsgefühl, das von Eindeutigkeit lebt, misslich. Denn was kann gegen die Teilnahme von Schwulen und Lesben gesagt werden, die die Union wählen oder Guido Westerwelle für okay halten? Hat man nicht immer gewollt: „Raus aus den Schränken“, verlasst eure Verstecke, denn ihr habt sie nicht selbst gewählt?

Davon abgesehen, dass die Party des transgenialen CSD in Kreuzberg wirklich die bessere Musik hatte und die schrilleren Outfits, außerdem sentimentaler stimmend war, weil übersichtlicher, weniger pompös, ja, angenehm nervöser, hiervon abgesehen spielte sich die Politik – in ihrer symbolischen, medial vermittelbaren Weise – an der Siegessäule ab: Klaus Wowereit, Berlins Regierender, wies abermals darauf hin, dass in Polen die Verhältnisse extrem homophob – allerdings in seinem Blick auslassend, dass die polnischen Regenbogenmenschen kaum Solidarität aus den liberalen Milieus erfahren. Auch die Auszeichnung der Bürgerrechtsanwältin Seyran Ates wie der Kiewer Aidshilfe mit dem CSD-Zivilcouragepreis ist eindeutig politisch inspiriert: Man preist gerade jene öffentlich, die ihr Engagement international(istisch), mindestens europäisch begreifen – und leistet gern Solidarität, auch und Gott sei Dank finanziell.

Welch luxuriöse Lage …

… in Deutschland hingegen. CSDs sind möglich – überall. Es gibt Sponsoren, die sie bezahlen können und wollen, es gibt PolitikerInnen, die mitmachen. Renate Künast, Wolfgang Thierse, Volker Beck und Claudia Roth, einige aus der Union auch – wenn auch nicht solche aus der ersten bis anderthalbten Reihe. Anderswo muss mit Widerstand gerechnet werden, nicht nur durch die (Hass-?)Predigten von Papst Benedikt XVI. In Athen gab’s den ersten griechischen CSD überhaupt; in Mexiko-Stadt hingegen beklagte man den, symbolisiert durch schwarze Binden an den Armen, den Mord an einem schwulen Bürgerrechtler in der mexikanischen Provinz.

Das nächste Jahr wird beweisen, welcher Event Vorrang hat: Wegen der Fußball-Männer-WM findet der hauptstädtische CSD erst Ende Juli statt. Man könne der vielen Fußballfans wegen nicht für Sicherheit garantieren – und die TV-Stationen hätten auch keine Kameras mehr frei.

Seyran Ates, gut so, wünschte in ihrer Dankesrede für den Zivilcouragepreis, dass der alternative CSD nächstes Jahr wenigstens am Abschlussfest an der Siegessäule teilnimmt: Das sei geschwisterlich – und politisch nötig. Das war dann doch zum Finale des Berliner CSD eine wunderbare, weil an alte Zeiten erinnernde Idee: Sie zu denken kann politisch nicht falsch sein.