: Karsai siegt im ersten Fälschgang
AFGHANISTAN Amtsinhaber Hamid Karsai lässt sich plötzlich ganz schnell zum Sieger der Präsidentschaftswahlen zählen und Hinweise auf massiven Wahlbetrug ignorieren
VON SVEN HANSEN
Der afghanische Präsident Karsai hat bei der Auszählung der Stimmen der Präsidentschaftswahlen vom 20. August am Dienstag erstmals die 50 Prozentmarke überwunden. Das macht ihn schon im ersten Wahlgang zum Sieger, sofern die Ergebnisse nicht noch erfolgreich angefochten werden. Wie die amtliche Wahlkommission am Abend in Kabul bekanntgab, kam Karsai nach Auszählung von 91,6 Prozent der Stimmen auf einen Anteil von 54,1 Prozent. Auf seinen stärksten Herausforderer, Ex-Außenminister Abdullah Abdullah, entfielen 28,3 Prozent. Eingeflossen in diese Ergebnisse sind auch die Stimmen aus 427 von 447 zuvor beanstandeten Wahlurnen, welche die Kommission damit überraschend für gültig erklärte.
Kurz vor Bekanntgabe der jüngsten Ergebnisse hatte zudem die unabhängige Wahlbeschwerdekommission (ECC) am Dienstag eine teilweise Neuauszählung der Stimmen angeordnet. „Im Laufe ihrer Untersuchungen hat die ECC eindeutige und überzeugende Belege für Betrug in einer Anzahl von Wahllokalen gefunden“, teilte sie laut Reuters mit. Neu ausgezählt werden müssten die Stimmen aus allen Lokalen, in denen die Wahlbeteiligung unerwartet hoch ausgefallen sei oder aus solchen ab einer gewissen Größe, in denen ein einziger Kandidat mindestens 95 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt habe. Laut ECC habe in einem Großteil der Wahllokale, in denen Betrug festgestellt wurde, die Zahl der abgegebenen Stimmen weit über dem Niveau gelegen, das auf der Grundlage glaubwürdiger Berichte zu erwarten gewesen wäre. Drei der fünf Mitglieder der Beschwerdekommission sind von den Vereinten Nationen ernannt. Jetzt deutet sich ein Machtkampf an zwischen der Karsai-nahen Wahl- und der neutraleren Beschwerdekommission.
Karsais deutlicher Rutsch über die 50 Prozent Marke gibt ihm noch genug Spielraum, auf einige allzu offensichtlich gefälschte Stimmen wieder zu verzichten und somit den Anschein zu erwecken, dass er sauber gewählt worden sei. Die Frage ist, ob ihm die internationale Gemeinschaft wie die unterlegenen Kandidaten das durchgehen lassen.
Laut Medienberichten haben der US-Botschafter in Kabul, Karl Eikenberry, und UN-Vertreter den afghanischen Präsidenten am Montagabend gedrängt, eine umfassende Überprüfung der Wahlfälschungsvorwürfe zuzulassen. Erst dann könne geklärt werden, ob kein zweiter Wahlgang mehr nötig sei. Mit der Bekanntgabe der jüngsten Ergebnisse unmittelbar nach der Betrugsfeststellung durch die Beschwerdekommission scheint Karsai sich über die Bedenken hinwegzusetzen und seinen Wahlsieg schnell festklopfen zu wollen.